Text (12.02.25)
Felix Bittner
Christian Schulz
Anne Hübner
Lektorat und Support
Antonia Rötger
Lea Musiolek
Christine Radomsky
Friedrich Bohn
Review
Hartmut Graßl
Illustration
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Ausgangslage
Die Klimakrise ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts für die menschliche Gesundheit. In den 2020er Jahren bedrohen Extremwetterereignisse und Hitzewellen Menschen weltweit. Insbesondere vulnerable Gruppen sind gefährdet, wie Kinder, ältere Menschen und Arbeiter:innen in der Landwirtschaft im globalen Süden. Die Klimakrise bedroht auch die Nahrungssicherheit und Wasserverfügbarkeit – mit entsprechenden gesundheitlichen Folgen. Gleichzeitig verbessern sich die klimatischen Bedingungen für viele Krankheitsüberträger und erhöhen damit beispielsweise die Gefahr von Infektionskrankheiten wie Malaria.Romanello, M., McGushin, A., Di Napoli, C., Drummond, P., Hughes, N., Jamart, L. et al. (2021). The 2021 report of the Lancet Countdown on health and climate change: code red for a healthy future. The Lancet, Volume 398, Issue 10311, 1619 – 1662. doi: 10.1016/S0140-6736(21)01787-6 Traidl-Hoffmann, C., Schulz, C.M., Herrmann, M., Simon, B. (2021). Planetary Health – Klima, Umwelt und Gesundheit im Anthropozän. 1. Auflage, MWV Berlin
2040 – Wir haben schon viel erreicht
Studierende, Auszubildende und Angehörige aller im Gesundheitswesen tätigen Berufsgruppen tragen entscheidend zum Erreichen der Klimaneutralität in Deutschland bei. Als “Change Agents” setzen sie sich politisch und gesellschaftlich erfolgreich für den Schutz der natürlichen Systeme des Planeten, insbesondere des Klimas und der Biodiversität, ein. Dabei hilft ihnen das von der Gesellschaft entgegengebrachte Vertrauen.Forsa Politik- und Sozialforschung GmbH (2021). dbb Bürgerbefragung öffentlicher Dienst. https://www.dbb.de/fileadmin/user_upload/globale_elemente/pdfs/2021/forsa_2021.pdf Weil die Gesundheit der Menschen von gesunden Ökosystemen abhängt,Traidl-Hoffmann, C., Schulz, C.M., Herrmann, M., Simon, B. (2021). Planetary Health – Klima, Umwelt und Gesundheit im Anthropozän. 1. Auflage, MWV Berlin identifizieren sie sich mit einem neuen Gelöbnis im Geiste des Hippokratischen Eides, das den Grundsatz des „primum non nocere“ (erstens nicht schaden) auf die natürlichen Systeme des Planeten ausweitet.Wabnitz, K., Gabrysch, S., Guinto, R., Haines, A., Herrmann, M., Howard, C. et al. (2020). A pledge for planetary health to unite health professionals in the Anthropocene. The Lancet, Volume 396, Issue 10261, 1471 – 1473. doi:10.1016/S0140-6736(20)32039-0
Das Gesundheitswesen ist fast klimaneutral und dabei deutlich krisenresilienter. Während der Gesundheitssektor zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch für etwa 5 % der gesamten Treibhausgasemissionen verantwortlich war,Health Care Without Harm (2019). Health care climate footprint report. https://noharm-global.org/documents/health-care-climate-footprint-report sind die Emissionen mittlerweile stark gesunken. Durch umfassende Entsiegelungs- und Begrünungsmaßnahmen auf dem Gelände von Gesundheitseinrichtungen wird zusätzlich CO₂ absorbiert, Biodiversität gestärkt und die Hitzebelastung für Beschäftigte und Patient:innen gesenkt. Ehrgeizige Maßnahmen sowie Änderungen im Anreizsystem tragen dazu bei, dass nicht nur im direkten Umfeld der Gesundheitseinrichtungen, sondern auch durch Einkauf, Entsorgung, Ernährung und Transport kaum noch Emissionen entstehen. Kreislaufwirtschaft und eine konsequente Vermeidung von Überversorgung führen außerdem zu einem deutlich niedrigeren Ressourcenverbrauch.
Das Gesundheitssystem ist resilienter gegen extreme Wetterereignisse und stellt sich auf ein Krankheitsspektrum ein, das sich verändert. Dies verhindert die schlimmsten gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung – und insbesondere für vulnerable Gruppen wie ältere Menschen, Kinder und Menschen mit Vorerkrankungen. Flächendeckende Hitzeaktionspläne und bauliche Anpassungsmaßnahmen tragen hierzu bei. Häufiger auftretende Extremwetterereignisse zerstören zwar immer noch punktuell Infrastruktur und belasten vulnerable Gruppen, aber das Gesundheitswesen bleibt funktionsfähig.
Die Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen verbessert sich deutlich, insbesondere weil sie mehr mitbestimmen können, kürzere Arbeitszeiten zur Regel werden, die Löhne steigen und die Dokumentationspflichten geringer werden. Dies verbessert auch die Qualität der Gesundheitsversorgung.Raspe, M., Koch, P., Zilezinski, M. et al. (2020). Arbeitsbedingungen und Gesundheitszustand junger Ärzte und professionell Pflegender in deutschen Krankenhäusern. Bundesgesundheitsbl 63, 113–121. https://doi.org/10.1007/s00103-019-03057-y
Die Maßnahmen, die uns auf den Weg brachten
Soziale Bewegungen wie Fridays for Future, Health for Future und Psychologists for Future haben entscheidend zu den Veränderungen im Gesundheitswesen beigetragen.
Die Wahrnehmung von Umwelt, Klima und Energiewende als wichtigste Themen fiel mit dem Aufkommen der Fridays for Future Bewegung zusammen.Forschungsgruppe Wahlen: Politbarometer (2022). Wichtige Probleme in Deutschland – I seit 01/2000. https://www.forschungsgruppe.de/Umfragen/Politbarometer/Langzeitentwicklung_-_Themen_im_Ueberblick/Politik_II Auf dem Deutschen Ärztetag 2021 wurden zahlreiche Beschlüsse mit Bezug zu Klimaschutz gefasst,Bundesärztekammer (2021). Beschlussprotokoll 125. Ärztetag. https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Aerztetag/125.DAET/pdf/Beschlussprotokoll_125DAET2021_Stand_24112021.pdf Gießelmann, M., Osterloh, F. (2021). Klimaschutz im Gesundheitswesen: Klimaneutralität bis 2030. Deutsches Ärzteblatt 45/2021; 118(45): A-2088 / B-1724 die schon seit längerer Zeit von Organisationen wie Health for Future gefordert wurden.Health for Future. Aufruf (2019). https://healthforfuture.de/aufruf/ Die Psychologists und Psychotherapists for Future machten ebenfalls auf die Folgen der Klimakrise für die psychische Gesundheit aufmerksam.Psychologists/ Psychotherapists for Future (2021): Stellungnahme https://www.psy4f.org/stellungnahme/
Immer mehr Menschen in Gesundheitsberufen haben Fortbildungsangebote genutzt, die die Zusammenhänge zwischen Klimakrise und Gesundheit deutlich machten und wurden so zu Akteur:innen für die notwendige Transformation.
Die Planetary Health Academy bietet Online-Kurse und Workshops zum Thema Klimakrise und transformatives Handeln an. Der Kurs wird von vielen Universitäten als Wahlfach anerkannt.
Mit der Teilnahme an Streiks und Mahnwachen, aber auch durch direkte Gespräche mit Bundestags- und Landtagsabgeordneten sowie Kommunalpolitiker:innen beeinflussten Menschen in Gesundheitsberufen die politische Agenda. Mit dem Argument von Klimaschutz als Gesundheitsschutz kam ein neues Moment in die politische Debatte. So gelang es, mit Änderungen des Regelungsrahmens starke Anreize für die schnelle Transformation zu schaffen und das Vergütungssystem zukunftsfähig zu machen. Im Zukunftsbild Groß werden notwendige Änderungen umfassend beschrieben. Siehe Zukunftsbild Groß: Gesundheitssystem
Ärzt:innen, Pflegekräfte und Therapeut:innen haben Patient:innen in „Klimasprechstunden” über die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Gesundheit und die gesundheitlichen Vorteile eines klimafreundlichen Lebensstils aufgeklärt. Patient:innen forderten mehr politisches Handeln.
Der Hausarzt Ralph Krowleski bietet in seiner Praxis Klimasprechstunden an. In diesem Vortrag erklärt er das Konzept.
Neben der Mitgestaltung der politischen Rahmenbedingungen leistete das Gesundheitswesen auch durch eigene Transformationsprojekte einen wichtigen Beitrag. Es schlossen sich zunächst einzelne, später hunderte und schließlich tausende Gesundheitseinrichtungen in einem Netzwerk mit dem Ziel zusammen, bis 2030 klimaneutral, -resilient, und -gerecht zu werden. Dieses Netzwerk, zu dem Krankenhäuser, Pflegeheime, Praxen und Apotheken gehörten, arbeitete eng zusammen mit Fachgesellschaften, Wohlfahrtsorganisationen und anderen Organisationen aus dem Gesundheitswesen.
Das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 klimaneutral zu werden.
Ausschlaggebend waren oft interdisziplinäre Teams in den Einrichtungen, die sich deutschlandweit mit Gleichgesinnten vernetzten und ihre jeweiligen Einrichtungsleitungen davon überzeugten, möglichst rasch klimaneutral zu werden. Die Einrichtungen setzten sich klare Ziele, definierten Zuständigkeiten, entwickelten Strategien, Messindikatoren und Systeme zur Datenerhebung.Dickhoff, A., Grah, C., Schulz, C.M., Weimann, E. (2021). Klimagerechte Gesundheitseinrichtungen. Rahmenwerk, Version 1.0
Viele Einrichtungen schlossen sich auch in klimabewussten Einkaufsgemeinschaften zusammen. Dadurch wurden nachhaltig und oft regional produzierte Güter finanziell konkurrenzfähig. Großküchen änderten die Essenspläne. Die Planetary Health Diet, die eine gesunde Ernährung mit Nahrungsmittelproduktion und -konsum innerhalb der planetaren Grenzen verbindet, setzte sich als Konzept durch.The Lancet Planetary Health (2019). More than a diet. Volume 3, Issue 2, e48. doi:10.1016/S2542-5196(19)30023-3 Der Schwerpunkt lag dabei auf einer pflanzenbasierten Kost mit saisonalen Obst- und Gemüsesorten, sowie auf einer engen Kooperation zwischen Gesundheitseinrichtungen und Landwirt:innen.