Illustration in Gelb- und Brauntönen. In der Mitte eine Fabrik mit KreislaufSymbol, ringsum Recycling-fähige Produkte, ein Windrad, Solarpanels, Holz und Mais als nachwachsende Rohstoffe. CO2 wird eingelagert, aus Müll wird Strom gewonnen.

Industrie-
produktion

Illustration in Gelb- und Brauntönen. In der Mitte eine Fabrik mit KreislaufSymbol, ringsum Recycling-fähige Produkte, ein Windrad, Solarpanels, Holz und Mais als nachwachsende Rohstoffe. CO2 wird eingelagert, aus Müll wird Strom gewonnen.

Text (Stand 09.05.23)
Andreas Pfennig
Alexander Graf
Bernadette Menacher
Regine Rehaag
Paul C. Sommerhoff

Lektorat
Antonia Rötger
Isabel Schmittknecht
Wenzel Steinig

Review
Benjamin Best

Illustration
Lina Körner

2040 – Wir haben schon viel erreicht

Wir produzieren kohlenstoffhaltige Produkte wie Kunststoffe, Tenside für Wasch- und Reinigungsmittel sowie pharmazeutische Wirkstoffe vorrangig biobasiert. Nur in Ausnahmefällen, wenn beispielsweise Überschussenergie lokal sehr preiswert zur Verfügung steht, rechnet sich die Nutzung von Kohlenstoff aus CO2-Punktquellen, beispielsweise aus Abgasströmen bei Verbrennungsprozessen. Wir setzen keine fossilen Rohstoffe mehr ein. Die Kunststoffe in vielen Alltagsprodukten sind bioabbaubar. Im Bausektor verwenden wir statt Zement häufig Holz und tonbasierte Baustoffe. Wo noch Zement verwendet werden muss, wird CO2-neutral hergestellter Zement genutzt.

Recycling haben wir seit den 2020er Jahren intensiviert. Bei kohlenstoffbasierten Materialien wie Kunststoffen wird ein stoffliches Recycling angestrebt, also die erneute Nutzung des Kunststoffs. Das wird uns aber nur bei einem kleineren Teil der Kunststoffe gelingen. Beim verbleibenden Rest wird die in den Stoffen enthaltene Energie bei der Müllverbrennung als Wärme und zur Stromerzeugung genutzt. Da die Produkte biobasiert hergestellt wurden, ist der gesamte Produkt-Lebenszyklus CO2-neutral. In einigen Fällen wird sogar eine negative CO2-Bilanz erreicht, indem das CO2 nach der Verbrennung aus dem Abgas entfernt und anschließend dauerhaft unterirdisch gespeichert wird. Diese energetische Nutzung der ursprünglich aus Biomasse hergestellten Produkte ist eine Mehrfach- oder Kaskadennutzung.

Der jährliche Pro-Kopf-Bedarf an Kohlenstoff-basierten Rohstoffen wie Stärke oder Zucker liegt bei 125kg. Damit stellen wir die benötigten Produkte her. Im Vergleich zum Beginn der 2020er Jahre haben wir die benötigte Menge an Produkten so um etwa 30% reduziert. Um diesen Bedarf zu decken, nutzen wir Biomasse der sogenannten ersten Generation, also Pflanzen, die auch für die menschliche Ernährung verwendet werden können – wie Mais oder Weizen. Dies ermöglicht Synergien mit der Nahrungsmittelproduktion: Vor der Weiterverarbeitung zu nicht-essbaren Produkten werden die im Getreide enthaltenen Proteine von der Stärke abgetrennt und für die menschliche Ernährung genutzt. Zucker oder Stärke, die man in der chemischen Industrie verwendet, können aber auch direkt für die Ernährung eingesetzt werden – so können Ernteausfälle, beispielsweise aufgrund des Klimawandels, leichter ausgeglichen werden.

SIEHE AUCH: Rahmen und Grundannahmen

Wie in „Rahmen und Grundannahmen“ erläutert, findet im Vergleich zu Anfang der 2020er Jahre deutlich mehr Recycling von weiteren Wertstoffen wie Metallen, Nährstoffen für die Landwirtschaft und Beton statt. Die Recyclingquote liegt aber noch deutlich unter 100%. Erst in den kommenden Jahrzehnten, nachdem die Energiewende geschafft ist, vollenden wir parallel zum Ausbau der Technologien für negative Emissionen die Entwicklung hin zur vollständigen Kreislaufwirtschaft. Denn um die Kreisläufe zu schließen, brauchen wir mehr Energie. Um diesen Bedarf nachhaltig zu decken, muss ausreichend erneuerbare Energie verfügbar sein.

Der Pro-Kopf-Bedarf an Kohlenstoff-basierten Rohstoffen wie Zucker und Stärke liegt in den Szenarien für das Zukunftsbild “Fokussiert” im Jahr 2040 bei 125kg pro Jahr. Daraus werden pro Kopf und Jahr etwa 80kg Kunststoffe hergestellt.Frenzel, P., Hillerbrand, R. & Pfennig, A. Increase in energy and land use by a bio-based chemical industry. Chemical Engineering Research and Design 92, 2006–2015 (2014) Pfennig, A. Sustainable Bio- or CO2 economy: Chances, Risks, and Systems Perspective. CBEN 6, 90–104 (2019) Pfennig, A. Bilanz-basierte Welt-Szenarien. https://www.vision3000.eu/sustainability-en/scenario-explorer-en (2021) Zum Vergleich: 2020 konsumierte jeder Mensch rund 140kg an Kunststoffen, die den größten Anteil der Kohlenstoff-basierten Produkte der chemischen Industrie darstellen.plasticsinsight – Global Consumption Of Plastic Materials per Region 1980-2015. Homepage https://www.plasticsinsight.com/global-consumption-plastic-materials-region-1980-2015/ (2021) Wir nehmen beim Zukunftsbild “Fokussiert” also eine deutliche Einsparung und eine nennenswerte Erhöhung der Recyclingquote an. Pfennig (2019) hat zudem gezeigt, dass diese Produkte besonders effizient aus Biomasse der ersten Generation hergestellt werden können, also aus Pflanzen, die auch für die menschliche Ernährung genutzt werden – wie Mais oder Weizen. Der Vorteil der Biomasse der ersten Generation ist, dass sie zu preiswerteren Produkten führen, weil sie weniger Ackerland benötigen und einfacher zu verarbeiten sind als die Alternativen der zweiten und dritten Generation. Unter Biomasse der zweiten Generation werden Pflanzen verstanden, die nicht der Ernährung dienen, beispielsweise Chinaschilf oder Holz aus Kurzumtriebsplantagen, die Biomasse der dritten Generation besteht aus Abfällen der Nahrungsmittelerzeugung wie Stroh.
Als Alternative zu Biomasse kann prinzipiell auch CO2 als Rohstoff verwendet werden.DECHEMA Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie e.V. & FutureCamp Climate GmbH. Roadmap Chemie 2050. Auf dem Weg zu einer treibhausgasneutralen chemischen Industrie in Deutschland. 96 https://dechema.de/chemie2050.html (2019) Dafür würde keine fruchtbare Ackerfläche benötigt und es entstünde keine Konkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion. Allerdings ist der Energieaufwand, um CO2 in nutzbare Stoffe umzuwandeln, sogenannte Power-to-X-Materialien, sehr hoch. Entsprechend werden CO2-basierte Stoffe teurer sein als biobasierte. Der Aufbau einer CO2-Ökonomie würde zudem wegen ihres hohen Energiebedarfs die Energiewende verlangsamen, was nicht wünschenswert ist.Pfennig, A. Bilanz-basierte Welt-Szenarien. https://www.vision3000.eu/sustainability-en/scenario-explorer-en (2021) Nur in besonderen Situationen, wenn beispielsweise günstige Überschuss-Energie und eine CO2-Quelle verfügbar sind, kann es sich lohnen, CO2 als Rohstoff zu nutzen. In einer defossilisierten Welt gibt es im Vergleich zum Beginn der 2020er Jahre deutlich weniger CO2-Quellen, die eine Nutzung des CO2 in chemischen Prozessen erlauben. Daher lautet ein Vorschlag, CO2 aus der Atmosphäre abzutrennen und zu nutzen (Direct Air Carbon Capture and Utilization oder kurz: DACCU). In einer der wenigen belastbaren Studien, die auf Experimenten im Pilotmaßstab basieren, ergeben sich erhebliche zusätzliche Kosten,Keith, D. W., Holmes, G., Angelo, D. St. & Heidel, K. A Process for Capturing CO2 from the Atmosphere. Joule 2, 1573–1594 (2018) sodass gleiche Produkte, die biobasiert hergestellt werden, stets preiswerter sind.
Eine Kaskadennutzung, die über die energetische Verwertung von kohlenstoffhaltigen Materialien in Müllverbrennungsanlagen hinausgeht, wird beim Zukunftsbild ‚Fokussiert‘ nicht vorausgesetzt, da diese in der Regel einen hohen Energieaufwand bedeutet oder zu Produkten mit schlechteren Eigenschaften führt.
Im Bausektor ist davon auszugehen, dass Materialien eingesetzt werden, die CO2-neutral hergestellt werden können, wie Tonziegel oder Holz, in dem sogar CO2 aus der Atmosphäre gebunden ist. Zudem recyceln wir 2040 bei Beton größere Anteile als zu Beginn der 2020er Jahre.ifeu Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH. Bauen mit RC-Beton. feu-Istitut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH http://www.rc-beton.de/rc-beton.html (2021) Außerdem gibt es Vorschläge, Zement CO2-neutral herzustellen, indem das bei der Zementherstellung entstehende CO2 durch Mineralisierung gebunden wird.Ostovari, H., Müller, L., Skocek, J. & Bardow, A. From Unavoidable CO2 Source to CO2 Sink? A Cement Industry Based on CO2 Mineralization. Environ. Sci. Technol. 55, 5212–5223 (2021)

SIEHE AUCH: Energieversorgung

Produktionsprozesse betreiben wir fast vollständig mit erneuerbarer Energie. Neben Strom ist dies erneuerbar produzierter Wasserstoff, sogenannter grüner Wasserstoff. Diesen grünen Wasserstoff können wir auch zwischenspeichern, um die Schwankungen des erneuerbaren Stromangebots auszugleichen. Dies entfaltet gleichzeitig eine Pufferwirkung für das gesamte Energiesystem. Erst 2045 werden wir in Deutschland die Energiewende vollständig geschafft haben, sodass dann ausschließlich erneuerbare Energie genutzt wird.

SIEHE AUCH: Internationale Beziehungen und Friedenssicherung

Das Lieferkettengesetz stellt sicher, dass auch in Ländern, aus denen Deutschland Waren und Dienstleistungen importiert, die Gewinnung von Rohstoffen und die Produktion von Gütern nachhaltig erfolgen und hohen sozialen Standards entsprechen. Die Entwicklungszusammenarbeit, die international koordiniert wird, wurde deutlich intensiviert. Dadurch hat man die Umwelt- und Lebensbedingungen in den Lieferländern verbessert. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass die Bedingungen des Lieferkettengesetzes in wesentlich mehr Lieferländern erfüllt werden, als es noch Anfang der 2020er Jahre der Fall war.

Als neuartiger Baustoff, der höchsten Nachhaltigkeitsstandards entspricht, wurden mit Kunststofffasern verstärkte, kunststoffgebundene Steine und Formelemente entwickelt, in die auch wärmedämmende Schichten integriert werden können. Ein Vorteil dieses Baustoffes: Nach der Nutzungsdauer eines Gebäudes kann der Kunststoffanteil verbrannt werden, sodass lediglich der gebundene Sand zurückbleibt, der wiederverwendet werden kann. Gleichzeitig wird in diesen Bauteilen eine große Menge Kohlenstoff längerfristig gespeichert, der der Atmosphäre zuvor entzogen wurde, da der Kunststoffanteil biobasiert hergestellt ist.

Die Maßnahmen, die uns auf den Weg brachten

Die Entwicklungen bei der Facette „Industrieproduktion“ erreichten wir durch folgende Maßnahmen:
01 – Alle CO2-Emissionen haben einen Preis bekommen. Der CO2-Preis wurde immer wieder angepasst, um bis 2045 die CO2-Neutralität 2045 zu gewährleisten. Im Jahr 2035 lag der CO2-Preis bei etwa 200€ pro Tonne CO2.
02 – Durch Anpassung von Vorschriften und gesetzlichen Regelungen wurde die Recyclingquote beispielsweise bei Kunststoffen, Metallen der Seltenen Erden und Phosphor sukzessive erhöht.
03 – Das Lieferkettengesetz wurde weiterentwickelt, sodass es auch Umweltstandards direkt einbezieht, soziale Standards berücksichtigt und auch für kleine Firmen gilt.

Der Preis von 200€ pro Tonne CO2 im Jahr 2035 entspricht den erwarteten Entwicklungen, die zum Erreichen der Klimaziele führen.uba Umweltbundesamt. Rebound-Effekte. (2019) BMU Bundesministerium für Umwelt Naturschutz und nukleare Sicherheit & Schulze, S. Schulze: CO2-Preis kann sozial gerecht gestaltet werden – BMU-Pressemitteilung. bmu.de https://www.bmu.de/PM8614 (2019) Edenhofer, O., Flachsland, C., Kalkuhl, M., Knopf, B. & Pahle, M. Optionen für eine CO2-Preisreform – MCC-PIK-Expertise für den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. 107 https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage/Arbeitspapiere/Arbeitspapier_04_2019.pdf (2019) Dieser Betrag steht für die erwartete Größenordnung, denn ein belastbarer präziser Wert lässt sich nicht vorhersagen.
Beim Zukunftsbild “Fokussiert” wird davon ausgegangen, dass wir Vorschriften, die das stoffliche Recycling regeln, wie auch schon in der Vergangenheit immer weiter verschärfen. So hatte beispielsweise die EU 2014 Phosphor in die Liste der 30 kritischen Rohstoffe aufgenommen.European Commision. Critical raw materials. Critical raw materials https://single-market-economy.ec.europa.eu/sectors/raw-materials/areas-specific-interest/critical-raw-materials_en (2021) Entsprechend schreibt die überarbeitete Klärschlammverordnung von 2017 den Kläranlagen das Phosphorrecycling vor. Innerhalb von 10 Jahren müssen sie ein Phosphorrecycling etablieren, obwohl die Verfahren dafür noch in der Entwicklung sind.BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Weißbuch Arbeiten 4.0. 234 https://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/a883-weissbuch.html (2017) Phos4You et al. Phos4You – We deliver Phosphorus made in Europe – PHOSphorus Recovery from waste water FOR YOUr Life. Phos4You – PHOSphorus Recovery from waste water FOR YOUr Life https://www.nweurope.eu/projects/project-search/phos4you-phosphorus-recovery-from-waste-water-for-your-life/ (2021)

Das LieferkettengesetzBMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Das Lieferkettengesetz. BMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung https://www.bmz.de/de/themen/lieferkettengesetz (2021) bezieht sich lediglich auf Menschenrechtsverletzungen, nicht auf soziale Standards. Umweltbelange sind nur dann betroffen, wenn sie zu Menschenrechtsverletzungen führen. Das Lieferkettengesetz ist 2023 nur auf Firmen mit mehr als 3000 Mitarbeiter:innen anwendbar, ab 2024 auf Firmen mit mehr als 1000 Mitarbeiter:innen. Bereits heute werden Lieferketten zunehmend durch darauf spezialisierte Firmen professionell geprüft.Beispiele sind IntegrityNext oder FRDM. Diese Entwicklung wird sich wahrscheinlich so fortsetzen.

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