Text (21.02.2025)
Felix Bittner
Anne Hübner
Christian Schulz
Lektorat und Support
Lea Musiolek
Christine Radomsky
Alexander Neumann
Carla Klocke
Review
Hartmut Graßl
Illustration
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Ausgangslage
Die Klimakrise ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts für die menschliche Gesundheit. In den 2020er Jahren bedrohen Extremwetterereignisse und Hitzewellen Menschen weltweit. Insbesondere vulnerable Gruppen sind gefährdet, wie Kinder, ältere Menschen und Arbeiter:innen in der Landwirtschaft im globalen Süden. Die Klimakrise bedroht auch die Nahrungssicherheit und Wasserverfügbarkeit – mit entsprechenden gesundheitlichen Folgen. Gleichzeitig verbessern sich die klimatischen Bedingungen für viele Krankheitsüberträger und erhöhen damit die Gefahr von Infektionskrankheiten wie beispielsweise Malaria.Romanello, M., McGushin, A., Di Napoli, C., Drummond, P., Hughes, N., Jamart, L. et al. (2021). The 2021 report of the Lancet Countdown on health and climate change: code red for a healthy future. The Lancet, Volume 398, Issue 10311, 1619 – 1662. doi: 10.1016/S0140-6736(21)01787-6 Traidl-Hoffmann, C., Schulz, C.M., Herrmann, M., Simon, B. (2021). Planetary Health – Klima, Umwelt und Gesundheit im Anthropozän. 1. Auflage, MWV Berlin
2040 – Wir haben schon viel erreicht
Die gesellschaftliche Mehrheit fordert schon seit Jahrzehnten mehr politisches Handeln für Klimaschutz.BUND-Umfrage zu Natur und Umweltschutz: Große Mehrheit der Deutschen zu deutlichen Änderungen des eigenen Lebensstils bereit – Wahljahr muss Weichen für Verkehrs-, Agrar- und Ressourcenwende stellen. https://www.bund.net/service/presse/pressemitteilungen/detail/news/bund-umfrage-zu-natur-und-umweltschutz-grosse-mehrheit-der-deutschen-zu-deutlichen-aenderungen-des-eigenen-lebensstils-bereit-wahljahr-muss-weichen-fuer-verkehrs-agrar-und-ressourcenwende-stellen/ UNDP (2021). The People’s Climate Vote. https://www.undp.org/content/undp/en/home/librarypage/climate-and-disaster-resilience-/The-Peoples-Climate-Vote-Results.html Weite Teile der Gesellschaft und Politik nehmen die Klimakrise mittlerweile auch als Gesundheitskrise wahr.
Dank des gestalterischen Einflusses von Bürger:innenräten und sozialen Bewegungen wird die Politik ihrer Verantwortung nun eher gerecht. Sie schafft Strukturen, die Menschen bei klimagerechtem und gesundem Handeln unterstützen.
Hitzewellen und Naturkatastrophen fordern zwar immer noch viele Todesopfer.Romanello, M., McGushin, A., Di Napoli, C., Drummond, P., Hughes, N., Jamart, L. et al. (2021). The 2021 report of the Lancet Countdown on health and climate change: code red for a healthy future. The Lancet, Volume 398, Issue 10311, 1619 – 1662. doi: 10.1016/S0140-6736(21)01787-6 Aufgrund wirksamer und ambitionierter klimapolitischer Maßnahmen sinken mittlerweile die globalen Treibhausgasemissionen. Zudem wurde mit dem Entfernen von Treibhausgasen aus der Atmosphäre in Pilotprojekten begonnen. So konnten noch schlimmere gesundheitliche Folgen der Klimakrise für die Zukunft abgewendet werden.
Viele Klimaschutzmaßnahmen führen zudem unmittelbar zu gesundheitlichen „Co-Benefits” (Win-Win-Situationen). Da weniger fossile Energieträger verbrannt werden, ist die Luft sauberer. Eine bessere Verkehrspolitik sorgt dafür, dass Menschen mehr Strecken mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurücklegen. Gleichzeitig haben mehr Menschen Zugang zu gesunden, überwiegend pflanzenbasierten Lebensmitteln. Aktive Mobilität, gesunde Ernährung, mehr Grünflächen, geringere Lärmbelastung und soziales Engagement wirken sich auch positiv auf die psychische Gesundheit der Menschen aus. Allein durch diese gesundheitlichen Nebeneffekte von Klimaschutzmaßnahmen sterben in Deutschland viel weniger Menschen durch Luftverschmutzung. Global betrachtet sind es jedes Jahr mehrere Millionen.Hamilton, I., Kennard, H., McGushin, A., Höglund-Isaksson, L., Kiesewetter, G., Lott, M. et al., (2021). The public health implications of the Paris Agreement: a modelling study. The Lancet Planetary Health, Volume 5, Issue 2, e74 – e83. doi:10.1016/S2542-5196(20)30249-7 Für eine ausführliche Beschreibung der gesundheitsbezogenen Lebensrealitäten siehe Zukunftsbild Groß: Gesundheit und Sport (Alltagsfacette).
Im Gesundheitswesen ist das Ziel der Treibhausgasneutralität bereits erreicht. Voraussetzung dafür war eine konsequente Reform des Regelungsrahmens und des Vergütungssystems im Gesundheitssektor. Denn die Reform schaffte starke Anreize für die schnelle Transformation des Gesundheitssektors und für ein zukunftsfähiges Vergütungssystem. Das Gesundheitssystem ist außerdem resilienter gegen extreme Wetterereignisse und gegen ein sich veränderndes Krankheitsspektrum.
Gesundheit und Gerechtigkeit haben insgesamt einen hohen gesamtgesellschaftlichen Stellenwert. Krisen wie die Corona-Pandemie, Hitzewellen und andere Extremwetterereignisse haben die gesundheitlichen Auswirkungen der Überschreitung planetarer Grenzen deutlich gemacht. Das spiegelt sich auch in den wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidungen der letzten Jahrzehnte wider.
Die Maßnahmen, die uns auf den Weg brachten
Eine Reihe politischer Maßnahmen ermöglichte die schnelle Transformation des Gesundheitswesens hin zu Treibhausgasneutralität. Bereits 2021 forderte der Deutsche Ärztetag die Klimaneutralität des Gesundheitswesens bis 2035.Bundesärztekammer (2021). Beschlussprotokoll 125. Ärztetag.https://www.aerzteblatt.de/down.asp?id=28887 Siehe Zukunftsbild Graswurzel – Gesundheitssystem für eine ausführlichere Beschreibung der Rollen der Akteur:innen im Gesundheitswesen.
Eine umfassende politische Strategie und konkrete Maßnahmen rückten dieses Ziel in greifbare Nähe: So wurde die CO2-Bepreisung aller Emissionen privater, staatlicher und freigemeinnütziger Einrichtungen des Gesundheitswesens beschlossen. Ein finanzieller Ausgleich durch das Klimageld sorgte für gesellschaftliche Akzeptanz. Gesundheitseinrichtungen ab 300 Mitarbeitenden wurden zur Schaffung einer Stabsstelle Klimaschutz verpflichtet. In Krankenhäusern wurde eine Umsetzungspflicht aller technischen Maßnahmen, die mit kostenfreien oder günstigen Investitionen einhergehen, eingeführt. Der Umstieg auf erneuerbare Strom- und Wärmequellen spielten ebenso wie Energieeffizienzmaßnahmen eine entscheidende Rolle.
Dazu gehören etwa die Installation von LEDs, der Abgleich von Heizungsanlagen, die nächtliche Abschaltung nicht benötigter Wärme-, Kälte- und Lüftungstechnik, sowie Wärme-Kälte-Kopplung. Bundesweit wurden Solardächer bei allen Einrichtungsneubauten verpflichtend. Siehe Zukunftsbild Groß – Energieversorgung (Systemfacette)
Im Rahmen des Gesetzes zur Bevorzugung ressourcenschonender Güter (Kreislaufwirtschaftsgesetz) wurden Einrichtungen dazu verpflichtet, bei der Anschaffung Nachhaltigkeitskriterien zu berücksichtigen. Auch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz entfaltete hier seine Wirkung: Organisationen des Gesundheitswesens mit mehr als 3000 Mitarbeitenden (ab dem 1.1.2023) mit mehr als 1000 Mitarbeitenden (ab dem 1.1.2024) konnten als Käufer und Endverbraucher für die ökologischen und sozialen Standards in den Produktionsländern und entlang der Lieferkette haftbar gemacht werden.BMWI (2021) Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Gesetze/Wirtschaft/lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.html Das Krankenhauszukunftsgesetz trieb die nachhaltige Digitalisierung voran, optimierte Prozesse und leistete der Telemedizin Vorschub.BMG (2020). Krankenhauszukunftsgesetz für die Digitalisierung von Krankenhäusern. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/krankenhauszukunftsgesetz.html Das Wirtschaftlichkeitsgebot in den Sozialgesetzbüchern wurde durch ein Nachhaltigkeitsgebot flankiert. Die Reform des Vergütungssystems hat die Überversorgung deutlich reduziert. Einen ebenfalls wichtigen Beitrag dazu leistete die stärkere Verankerung palliativmedizinischer Kenntnisse in den Weiterbildungsordnungen klinisch tätiger Ärzt:innen.
Es wurde deutlich, dass ein klimagerechtes Gesundheitswesen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Das Bruttoinlandsprodukt als alleiniger Indikator für Wohlstand und Fortschritt wurde abgeschafft und um weitere, das Gemeinwohl erfassende, Indikatoren ergänzt. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens hat informelle Pflegetätigkeiten aufgewertet, das formalisierte Pflegesystem entlastet und es mehr Menschen ermöglicht, sinnstiftenden sozialen „Care”-Tätigkeiten nachzugehen.Commons Network (2021). Building a caring world beyond growth. https://www.researchgate.net/publication/356784650_Living_well_on_a_finite_planet_Building_a_caring_world_beyond_growth