Text (Stand 26.09.23)
Annette Voigt
Tina Heger
Lektorat
Lea Musiolek
Antonia Rötger
Review
Sophie Lokatis
Daniel Münderlein
Lena Schlegel
Illustration
Joy Lohmann
Die Ausgangslage
Zu Beginn der 2020er Jahre waren Outdoor-Aktivitäten zwar sehr beliebt, aber wir konnten dabei vielfältige Natur nur eingeschränkt erleben. Sowohl in der Agrarlandschaft als auch im Wald dominierten Monokulturen.WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, Fischer, M., Fromhold-Eisebith, M., Grote, U., Matthies, E., Messner, D., Pittel, K., Schellnhuber, H. J., Schieferdecker, I., Schlacke, S., & Schneidewind, U. (2020). Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration. Hauptgutachten. (Hauptgutachten ISBN 978-3-946830-32-0) Daher war es kaum möglich, schöne, alte Bäume oder ‚wilde‘, sich frei entwickelnde Natur zu erleben. Abgesehen von einigen häufig vorkommenden Vogel- und Insektenarten waren auch wild lebende Tiere nur selten zu entdecken. In Schutzgebieten konnten wir Pflanzen und Tiere zwar in größerer Vielfalt sehen, ein intensives Erleben von Natur war dort aber wegen der zahlreichen Regelungen zum Schutz der Arten und Lebensräume ebenfalls schwierig. In den Städten waren Grünflächen selten, und zudem ungleich verteilt. Als Folge des verminderten direkten Kontakts mit wild lebenden Tieren und ungestörter Pflanzenwelt hatten viele von uns wenig Interesse für die Natur in ihrer Nähe.Soga, M., & Gaston, K. J. (2016). Extinction of experience: The loss of human–nature interactions. Frontiers in Ecology and the Environment, 14(2), 94–101. https://doi.org/10.1002/fee.1225
2040 – Wir haben schon viel erreicht
SIEHE AUCH: Landnutzungswandel und Böden, Land- und Süßwasserökosysteme, Vielfalt des Lebens
Seit über einem halben Jahrhundert leisten weltweit Menschen Widerstand gegen die Zerstörung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen. Sie haben sich dafür zu vielfältigen Bündnissen zusammengeschlossen. Sie wissen, dass der Verlust an Natur nicht nur gestoppt, sondern auch umgekehrt werden muss. Ökosysteme werden renaturiert und die Flächennutzung grundlegend umgedacht. Die meisten wollen Natur heute im Alltag in vielfältiger Form erleben.
Berg et al.Berg, H., Schnurr, M., Schipperges, M., & Glockner, H. (2018). Erfolgsbedingungen für Systemsprünge und Leitbilder einer Ressourcenleichten Gesellschaft—Abschlussbericht (2018/84 / ISSN 1862-4359) formulieren in ihren „Leitbildern einer ressourcenleichten Gesellschaft“: „In der eigenen unmittelbaren Umgebung Zugang zu unberührter Natur zu haben, ist den Menschen in dieser Gesellschaft sehr wichtig. Den Erholungswert der umgebenden Natur und Landschaft weiß man zu schätzen und möchte diese immer besser kennenlernen. Dabei wird der Natur ein Eigenwert zuerkannt: Man hat an sich selbst den Anspruch, ihr mit Respekt zu begegnen und sie im Sinne von ‚Fairness‘ zu behandeln, so wie man mit anderen Menschen umgehen und von ihnen behandelt werden will. Die Schönheit und Erhabenheit der Natur erfüllt einen immer wieder neu mit Bewunderung – und ihre Großartigkeit gilt es, um ihrer selbst willen zu erhalten.“
Wir engagieren uns für ein nachhaltiges Miteinander von Mensch und Natur. Es ist inzwischen Konsens, dass Natur für uns, aber auch an sich wertvoll ist, und dass Tiere Rechte haben. Wir diskutieren darüber, ob und wie es möglich ist, die Spaltung zwischen Natur und Mensch zu überwinden und zum Beispiel Tiere als Subjekte anzuerkennen.
Derzeit gibt es vielfältige, radikale Visionen eines neuen Umgangs mit Natur im Allgemeinen und vor allem mit Tieren. Beispiel sind die Diskurse der Human-Animal Studies oder multispecies ethnography (zum Beispiel in Jaeger, F. (Ed.). (2020). Menschen und Tiere: Grundlagen und Herausforderungen der Human-Animal Studies. J.B. Metzler. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05625-2 Philo, C., & Wilbert, C. (2000). Animal Spaces, Beastly Places. New Geographies of Human Animal Relations. Routledge. https://www.routledge.com/Animal-Spaces-Beastly-Places/Philo-Wilbert/p/book/9780415198479 Kirksey, S. E., & Helmreich, S. (2010). The Emergence of Multispecies Ethnography. Cultural Anthropology, 25(4), 545–576. https://doi.org/10.1111/j.1548-1360.2010.01069.x), die Beiträge des Schweizer Professors für Tierethik Markus WildWild, M. (2013). Der Mensch und andere Tiere. Für eine zoologische Wende in der philosophischen Anthropologie (K. P. Liessmann, Ed. 16) und von Donna J. HarawayHaraway, D. J. (2018). Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän. Campus Verlag. https://www.campus.de/buecher-campus-verlag/wissenschaft/soziologie/unruhig_bleiben-14845.html oder die politischen Kunstprojekte von Club Real (Link) oder Hartmut Kiewert (Link).
Diese naturverbundene Lebenseinstellung prägt zunehmend unseren Alltag und beeinflusst, wie wir produzieren, forschen, neue Technologien entwickeln, konsumieren und wirtschaften. Viele Unternehmen machen die sozial-ökologischen Bedingungen und die CO2-Bilanz ihrer Produktions- und Lieferketten transparent und setzen sich für Tierrechte, Umwelt- und Naturschutz ein – aus Überzeugung, und weil die Kund:innen wissen wollen, wie sich ihre Kaufentscheidungen auf die Natur auswirken.
SIEHE AUCH: Landnutzungswandel und Böden, Land- und Süßwasserökosysteme
Immer mehr Menschen setzen sich für eine flächendeckende Förderung der Artenvielfalt ein. Um dies politisch durchzusetzen, schreiben sie Petitionen, reichen Klagen ein oder gründen Initiativen. Sie wollen auch in der direkten Umgebung struktur- und artenreiche Natur erleben, sei es in Agrarlandschaften, in Wäldern oder in Schutzgebieten. Daher werden unsere Nutzlandschaften wieder vielfältiger. Außerdem bleiben kleinere und größere Gebiete sich selbst überlassen („Wildnisgebiete“), andere werden renaturiert und geschützt. In all diesen unterschiedlichen Gebieten genießen die Besucher:innen die Schönheit, die Geräusche, Gerüche und Geschmäcker der Natur. Selbst in Naturschutzgebieten dürfen Kinder heute abseits der Wege spielen und dort Natur entdecken. Auch andere sanfte Nutzungsformen sind erlaubt.
Schutzgebiete sind zwar notwendig für die Erhaltung und Förderung von Land-, Meer- und Süßwasserökosystemen; der Ausschluss jeglicher Nutzung hat aber auch nachteilige Auswirkungen. Insbesondere führen eine Verweigerung von Zugang zu „Natur“ und ein Verbot insbesondere von traditionellen Nutzungsformen zu einem Verlust von Identität. Dies kann die bestehende Entfremdung der Menschen von Natur weiter vorantreiben.Armitage, D., Mbatha, P., Muhl, E.-K., Rice, W., & Sowman, M. (2020). Governance principles for community-centered conservation in the post-2020global biodiversity framework. Conservation Science and Practice, 2(2), e160. https://doi.org/10.1111/csp2.160 Büscher, B., & Fletcher, R. (2020). The Conservation Revolution: Radical Ideas for Saving Nature Beyond the Anthropocene (p. 224). Verso Books.
Einige Autor:innen argumentieren, dass das „Erleben der Natur“ notwendig ist, um Interesse und Unterstützung für den Naturschutz zu wecken; ein „Aussterben von Erfahrungen“ Miller, J. R. (2005). Biodiversity conservation and the extinction of experience. Trends in Ecology & Evolution, 20(8), 430–434. https://doi.org/10.1016/j.tree.2005.05.013 Pyle, R. M., & Louv, R. (2011). The Thunder Tree: Lessons from an Urban Wildland. Oregon State University Press. kann die breite Unterstützung für den Naturschutz untergraben. Das Aussterben von Erfahrungen durch die Verringerung der Häufigkeit und der Qualität der Gelegenheiten zur Interaktion mit der Natur kann sowohl durch den Verlust von Lebensraum und biologischer VielfaltSoga, M., & Gaston, K. J. (2016). Extinction of experience: The loss of human–nature interactions. Frontiers in Ecology and the Environment, 14(2), 94–101. https://doi.org/10.1002/fee.1225 als auch durch Betretungs- und Nutzungsverbote zustande kommen.Jung, N., Molitor, H., & Schilling, A. (2015). Natur, Emotion, Bildung – vergessene Leidenschaft? Zum Spannungsfeld von Naturschutz und Umweltbildung.: Vol. Band (N. Jung, H. Molitor, & A. Schilling, Eds.). Barbara Budrich. https://shop.budrich.de/en/product/natur-emotion-bildung-vergessene-leidenschaft/
Die städtische Natur ist vielfältig und artenreich und damit sehr attraktiv. Ehemalige Verkehrsflächen bieten nun zusätzliche Natur- und Freizeiträume. Gebäude- und Straßenbegrünung, entsiegelte Flächen sowie renaturierte Gewässer mildern die Auswirkungen von Hitzetagen und Überflutungen und machen die Stadt widerstandsfähiger gegen die Extremwetter, die mit dem Klimawandel einhergehen.
Bereits heute gibt es zahlreiche lokale, nationale und internationale Initiativen, Städte in großem Umfang zu begrünen (Siehe zum Beispiel https://de.thegreencity.eu/, https://www.biophiliccities.org/, https://natura-net.org/). Große Hoffnung wird hierbei in „nature-based solutions“ gesetzt: Lösungen für sozial-ökologische Herausforderungen, die von der Natur inspiriert und unterstützt werden, die kosteneffizient sind, gleichzeitig ökologische, soziale und wirtschaftliche Vorteile bieten und zum Aufbau von Resilienz beitragen. Solche Lösungen bringen durch lokal angepasste, ressourceneffiziente und systemische Interventionen mehr und vielfältige Natur in Städte, Landschaften und Meereslandschaften (https://ec.europa.eu/info/research-and-innovation/research-area/environment/nature-based-solutions_en). Beispiele sind Gründächer, begrünte Fassaden (zum Beispiel https://gruenwand.com/), „Regengärten“ und Wasserrückhaltezonen mit naturnaher Vegetation.European Commission – Directorate-General for Research and Innovation. (2015). Towards an EU Research and Innovation policy agenda for Nature-Based Solutions & Re-Naturing Cities. Final Report of the Horizon 2020 Expert Group on “Nature-Based Solutions and Re-Naturing Cities” (full version) (Final Report ISBN 978-92-79-46051-7 doi: 10.2777/765301)
Ökosystemleistungen in der Stadt – Gesundheit schützen und Lebensqualität erhöhenKowarik, I., Bartz, R., Brenck, M., & Naturkapital Deutschland – TEEB DE (Eds.). (2016). Ökosystemleistungen in der Stadt: Gesundheit schützen und Lebensqualität erhöhen. Naturkapital Deutschland – TEEB DE.
Durch Proteste und lokale Initiativen haben nun nicht nur wohlhabende Menschen, sondern zunehmend auch Menschen in dicht bebauten Stadtvierteln Zugang zu Freiflächen mit grünen, ruhigen Natur-Oasen, sauberer Luft und angenehmem Mikroklima – und das in der Nähe ihrer Wohnung.
Gerechter Zugang zu Natur kann einen wichtigen Beitrag zum Ausgleich sozialer Ungerechtigkeit leisten.Bolte, G., Bunge, C., Hornberg, C., & Köckler, H. (2018). Umweltgerechtigkeit als Ansatz zur Verringerung sozialer Ungleichheiten bei Umwelt und Gesundheit. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 61(6), 674–683. https://doi.org/10.1007/s00103-018-2739-6 Hunter, R., Cleary, A., Cleland, C., & Braubach, M. (2017). Urban green space interventions and health: A review of impacts and effectiveness. Full report. https://pure.qub.ac.uk/en/publications/urban-green-space-interventions-and-health-a-review-of-impacts-an Auch das „Weißbuch Stadtgrün“BMU Bundesministerium für Umwelt Naturschutz und nukleare Sicherheit, BBSR Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, BfN Bundesamt für Naturschutz, Umweltbundesamt, JKI Julius Kühn-Institut, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Urbanizers Büro für städtische Konzepte, plan zwei Stadtplanung und Architektur, bgmr Landschaftsarchitekten, Institut für Stadtgrün, Dosch, F., Fischer, B., Haury, S., Wagner, J., Mayer, F., Schröder, A., Bunge, C., Hülsmann, W., Vetter, A., Hommes, M., … Balder, H. (2018). Weißbuch Stadtgrün. Grün in der Stadt – Für eine lebenswerte Zukunft (p. 52). BMU Bundesministerium für Umwelt Naturschutz und nukleare Sicherheit. http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/bauen/wohnen/weissbuch-stadtgruen.pdf führt Maßnahmen auf, wie der Bund im Rahmen seiner Zuständigkeit die Kommunen bei der Stärkung urbaner grüner Infrastruktur unterstützen kann und „Stadtgrün sozial verträglich und gesundheitsförderlich entwickeln“ kann.
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Viele Städter:innen nutzen Gemeinschaftsgärten, und auch Flächen mit „Stadtwildnis“ sowie die urbanen wildlebenden Tiere sind sehr beliebt. Da urbane Naturflächen von vielen Leuten besucht werden, fühlen wir uns dort sicher.
Laut einer Umfrage von 2019 wünschen sich Menschen mehr wilde Natur.BMU Bundesministerium für Umwelt Naturschutz und nukleare Sicherheit, Schleer, C., Reusswig, F., & Wisniewski, N. (2020). Naturbewusstsein 2019. Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Vielfalt (Broschüre Broschüre , Nr. 10053
Untersuchungen zeigen, dass die Interaktion von Menschen mit Wildnis in der Stadt bewirken kann, dass Menschen sich nicht mehr anderen Lebewesen übergeordnet fühlen.Lev, E., Kahn, P. H., Chen, H., & Esperum, G. (2020). Relatively Wild Urban Parks Can Promote Human Resilience and Flourishing: A Case Study of Discovery Park, Seattle, Washington. Frontiers in Sustainable Cities, 2(2). https://doi.org/10.3389/frsc.2020.00002 Unübersichtliche öffentliche Grünräume können jedoch das Auftreten von Belästigungen und Bedrohungen erhöhen oder auch die empfundene Sicherheit beeinträchtigen. Das Wohlbefinden und Sicherheitsempfinden im öffentlichen Freiraum ist stark davon abhängig, welche Erfahrung die Besucher:innen mitbringen, und kann sich nach Geschlecht, Herkunft, Alter, Sexualität, Behinderung und wirtschaftlichem Status unterscheiden.Hahne, M., Hempel, L., Pelzer, R., Hempel, L., & Pelzer, R. (2020). (Un-)Sicherheitsgefühle und subjektive Sicherheit im urbanen Raum (Broschüre Nr. 70, Heft 2, / ISSN 1617 – 0253
– Frankfurt am Main, Dessau-Roßlau und Hannover lassen von 2016 bis 2021 im Projekt „Städte wagen Wildnis“ ausgewählte urbane Flächen „verwildern“: https://www.staedte-wagen-wildnis.de/
– In vielen Städten konnte sich auf stillgelegten Verkehrs- oder Industriestandorten Natur frei entwickeln. Diese Flächen stehen jetzt für Naherholung zur Verfügung (zum Beispiel München: Link, Berlin: Link und im Ruhrgebiet: Link)
So können wir Natur im Alltag erleben. Naturerleben bedeutet heute nicht mehr, in weit entfernten Ländern exotische, wild lebende Tiere zu betrachten, sondern wir können heute Natur im direkten Umfeld erleben. Viele Menschen beteiligen sich an der Arbeit auf einem Bauernhof oder an einem Naturschutzprojekt, aber durchaus auch an der Jagd. Über die Jagd wird viel diskutiert, ihre Rahmenbedingungen werden auf ökologisches Wissen und ethische Überlegungen gestützt und demokratisch immer wieder ausgehandelt.
Die vielen Naturerlebnisse in unserem Alltag wirken sich positiv auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden aus. Konflikte mit wild lebenden Tieren, zum Beispiel durch Agrarschäden oder Zoonosen, versuchen wir heute mit Rücksicht auf die Lebensqualität der Tiere zu lösen.
Zeit in der Natur zu verbringen und wildlebende Tiere zu erleben, wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus.White, M. P., Alcock, I., Grellier, J., Wheeler, B. W., Hartig, T., Warber, S. L., Bone, A., Depledge, M. H., & Fleming, L. E. (2019). Spending at least 120 minutes a week in nature is associated with good health and wellbeing. Scientific Reports, 9(1), 7730. https://doi.org/10.1038/s41598-019-44097-3 Auch Stadtnatur hat diesen Effekt: „Natur in der Stadt wirkt sich auf die psychische und physische Gesundheit positiv aus. Sie führt dazu, dass die Wohnumgebung als angenehmer bewertet wird und die Wohn- und Lebenszufriedenheit sowie das Wohlbefinden steigen.“Naturkapital Deutschand – TEEB. (2016). Naturkapital Deutschland—TEEB Ökosystemleistungen in der Stadt. Gesundheit schützen und Lebensqualität erhöhen. Kurzbericht für Entscheidungsträger (Naturkapital Deutschland – TEEB, p. 80). UFZ Helmholtz Zentrum für Umweltforschung. https://www.ufz.de/export/data/global/190508_TEEB_DE_Stadtbericht_Langfassung.pdf Siehe auch Fuller, R. A., Irvine, K. N., Devine-Wright, P., Warren, P. H., & Gaston, K. J. (2007). Psychological benefits of greenspace increase with biodiversity. Biology Letters, 3(4), 390–394. https://doi.org/10.1098/rsbl.2007.0149 Sandifer, P. A., Sutton-Grier, A. E., & Ward, B. P. (2015). Exploring connections among nature, biodiversity, ecosystem services, and human health and well-being: Opportunities to enhance health and biodiversity conservation. Ecosystem Services, 12, 1–15. https://doi.org/10.1016/j.ecoser.2014.12.007 speziell für Tiere in der Stadt. Aktuelle Studien zeigen, dass die Lebens-Zufriedenheit von Menschen größer ist in Gegenden mit einer größeren Vielfalt an Vögeln,Methorst, J., Rehdanz, K., Mueller, T., Hansjürgens, B., Bonn, A., & Böhning-Gaese, K. (2021). The importance of species diversity for human well-being in Europe. Ecological Economics, 181, 106917. https://doi.org/10.1016/j.ecolecon.2020.106917 und dass in Stadtvierteln mit mehr Straßenbäumen weniger Menschen an Depression erkranken.Marselle, M. R., Bowler, D. E., Watzema, J., Eichenberg, D., Kirsten, T., & Bonn, A. (2020). Urban street tree biodiversity and antidepressant prescriptions. Scientific Reports, 10(1), 22445. https://doi.org/10.1038/s41598-020-79924-5 Zudem wird oft pädagogisch argumentiert, dass gerade für Kinder in der Stadt der Kontakt mit Tieren, Pflanzen und „Natur“ wichtig ist, um später im Erwachsenenalter einen positiven Naturbezug zu haben.Soga, M., & Gaston, K. J. (2016). Extinction of experience: The loss of human–nature interactions. Frontiers in Ecology and the Environment, 14(2), 94–101. https://doi.org/10.1002/fee.1225 Turner, W. R., Nakamura, T., & Dinetti, M. (2004). Global Urbanization and the Separation of Humans from Nature. BioScience, 54(6), 585–590. https://doi.org/10.1641/0006-3568(2004)054[0585:GUATSO]2.0.CO
Im Zuge der Covid-19 Pandemie wird von verschiedener Seite diskutiert, nicht nur auf Intensivtierhaltung zu verzichten, sondern auch den Kontakt zwischen Menschen und wildlebenden Tieren zu minimieren, zum Einen durch den Verzicht, wild lebende Tiere zu jagen, zu verkaufen und zu essen, zum anderen dadurch, dass die Lebensräume von Mensch und Tier („wieder“) voneinander getrennt werden.Fine, A., Kang, A., & Wildlife Conservation Society. (2020, March 16). Emerging Zoonoses and the Risk Posed by Wildlife Markets—Lessons from the COVID-19 Coronavirus Outbreak. One Planet, One Health, One Future. https://medium.com/one-planet-one-health-one-future/emerging-zoonoses-and-the-risk-posed-by-wildlife-markets-5689b7ba7ee2 Allerdings sollten Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung von Zoonosen ein Erleben von wild lebenden Tieren nicht ausschließen (siehe auch Voigt, A. (2021). Kontakt zu wilden Tieren? Covid-19 und das Mensch-Natur Verhältnis. (2021- In Veröffentlichung) In: S Hennecke & D. Münderlein (Hrsg.). Freiräume in der Krise?! Eine Bestandsaufnahme von städtischem Freiraum in Zeiten der Corona Pandemie.).
Die Maßnahmen, die uns auf den Weg brachten
Anfang des 21. Jahrhunderts haben Naturzerstörung und Klimawandel erschreckende Ausmaße angenommen. Immer mehr Menschen wollten dagegen etwas unternehmen. Außerdem hat die Corona-Pandemie ab 2020 eine neue Welle von Naturverbundenheit ausgelöst. Menschen aller Altersgruppen gingen häufig spazieren, beobachteten Tiere, fingen an zu gärtnern, und sorgten für eine Begrünung ihrer Wohnungen, Gärten, Vorgärten und Straßen.
Eine Auswertung von Google-Daten zeigt, wie wichtig Spazierengehen während der Pandemie wurde.Kleinschroth, F., & Kowarik, I. (2020). COVID-19 crisis demonstrates the urgent need for urban greenspaces. Frontiers in Ecology and the Environment, 18(6), 318–319. https://doi.org/10.1002/fee.2230
Auch Jugendliche verbrachten mehr Zeit draußen und entdeckten die Natur für sich. Waldlichtungen und versteckte, verwilderte Orte in der Stadt waren wichtige Treffpunkte und Rückzugsräume in dieser Krise. Dies verstärkte eine Jugendbewegung, deren Kern und Ziel ein harmonisches Miteinander von Mensch und Natur ist.
Gen(S), Generation Symbiocene, ist eine Jugendbewegung, die von der Idee geleitet ist, das Anthropozän zu überwinden und zu einem SymbiozänAlbrecht, G. A. (2015, December 17). Exiting the anthropocene and entering the symbiocene. Psychoterratica. https://glennaalbrecht.wordpress.com/2015/12/17/exiting-the-anthropocene-and-entering-the-symbiocene/ zu kommen: Link
Eine großangelegte Umfrage speziell unter Jugendlichen zwischen 14 und 17hat gezeigt, dass Natur für die Mehrheit (66%) der Jugendlichen eine große persönliche Bedeutung hat und zu einem guten Leben dazu gehört. Die Corona-Krise hat hier verstärkend gewirkt: Gut der Hälfte der Jugendlichen (52%) ist während dieser Zeit die Natur wichtiger geworden.BMU Bundesministerium für Umwelt Naturschutz und nukleare Sicherheit, Schleer, C., Reusswig, F. A., & Wisniewski, N. (2021). Jugend-Naturbewusstsein 2020 (Broschüre Broschüre , Nr. 16017)
Schon vor den 2020er Jahren gab es den Trend zu Konsumverweigerung, Second-Hand-Mode und Veganismus, vor allem unter Jugendlichen. Daraus entwickelte sich eine starke gesamtgesellschaftliche Bewegung. Die Menschen begannen, Natur in vielfältiger Weise wertzuschätzen: Wir wollten mehr über Natur wissen, erfahren, wo unsere Nahrung herkommt oder sie selbst anbauen, uns im Alltag mit Naturmaterialien und natur-inspirierten Formen umgeben und mehr „wilde“ Natur erleben. Dabei ging es um unsere emotionale Beziehung zu Natur, die Wertschätzung aller Lebewesen und um das Naturerleben.
„Das direkte Erleben der Landwirtschaft weckt und stärkt das Bewusstsein für Vielfalt, Qualität, saisonale Verfügbarkeit und Herkunft von Lebensmitteln. Dies ist insbesondere zur Förderung einer gesunden Ernährung wichtig – und hat im Hinblick auf die Vermeidung von Gesundheitskosten durch ernährungsbedingte Erkrankungen auch wirtschaftliche Bedeutung.“Kowarik, I., Bartz, R., Brenck, M., & Naturkapital Deutschland – TEEB DE (Eds.). (2016). Ökosystemleistungen in der Stadt: Gesundheit schützen und Lebensqualität erhöhen. Naturkapital Deutschland – TEEB DE.
– In ihrem Buch „The Conservation Revolution“ (Die Naturschutzrevolution) fordern die Autoren eine Abkehr vom „touristischen Voyeurismus“ (touristic voyeurism), hin zu „engagiertem Besuch“ (engaged visitation).Büscher, B., & Fletcher, R. (2020). The Conservation Revolution: Radical Ideas for Saving Nature Beyond the Anthropocene (p. 224). Verso Books. Sie sehen dies als eines von fünf Schlüsselelementen eines neuen Naturschutzes. Ein zweites wichtiges Element ist der Wandel vom spektakulären zum alltäglichen Umweltschutz (from spectacular to everyday environmentalism). Sie argumentieren, dass man gerade im Alltäglichen die bedeutungsvollsten Interaktionen mit Natur haben kann.
– Weite Teile der Bevölkerung wünschen sich bessere Artenkenntnis; sie würden diese gerne direkt in der Natur erlernen (Jüngere auch mit Hilfe von Apps etc.), und wünschen sich das auch als wichtigeren Teil der Schulausbildung.BMU Bundesministerium für Umwelt Naturschutz und nukleare Sicherheit, Schleer, C., Reusswig, F., & Wisniewski, N. (2020). Naturbewusstsein 2019. Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Vielfalt (Broschüre Broschüre , Nr. 10053)
– Das Internetportal StadtWildTiere gibt Information über wildlebende Tiere in Städten und fordert Bürger:innen auf, ihre Beobachtungen zu melden: Link
– Viele Apps ermöglichen heute schon die einfache Bestimmung von Pflanzen und Tieren, zum Beispiel die App „Naturblick“
– Dezentrale Kompostierung durch „Wurmhotels“ in Amsterdam: Link
– Das Projekt Weltacker teilt die global existente Ackerfläche von 1,5Mrd. Hektar durch die Zahl der Erdenbürger:innen. Das ergibt ein recht spannendes Bild von überschaubaren 2000m2 pro Erdling, auf denen alles wachsen müsste, was eine Person braucht: Brot, Reis, Kartoffeln, Obst, Gemüse, Öl, Zucker, Baumwolle für Kleidung, nachwachsende Rohstoffe für die Industrie und Mobilität sowie Futter für die Tiere, deren Fleisch, Milch und Eier wir verzehren: Link
Aus dieser gesamtgesellschaftlichen Bewegung heraus ergriffen wir konkrete Maßnahmen, die sich wiederum positiv auswirkten.
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1) Umfassende Agrarreform: Die EU-Agrarpolitik wurde als Antwort auf den Druck aus der Bevölkerung umfassend reformiert, und nach und nach wurden unsere Wälder und Agrarlandschaft vielfältig und bunt. Die Überschwemmungen 2021 haben an vielen Orten Menschen dazu veranlasst, nach lokalen Lösungen zu suchen, die gleichzeitig Schutz vor weiteren Katastrophen und mehr Möglichkeiten zum Erleben von Natur bieten. Weil so Natur auch außerhalb von Schutzgebieten attraktiver wurde und die Anzahl und Fläche der Schutzgebiete anstieg, hat der Besucherdruck in den Schutzgebieten nachgelassen. Deshalb haben wir durchgesetzt, dass die Ver- und Gebote für den Besuch von Schutzgebieten sukzessive gelockert wurden und damit das Naturerleben intensiviert werden konnte.
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2) Begrünung der Städte: In den Großstädten machten sich seit Anfang der 2020er Jahre zunehmend die Auswirkungen des Klimawandels bemerkbar, und immer mehr Menschen litten unter Hitze. Daher begrünten wir die Fassaden, entsiegelten Böden und ließen Teile unserer Gärten verwildern. Wir erlebten, wie diese Maßnahmen die Innenstädte im Sommer kühlten und für saubere Luft sorgten. Die städtische Natur wurde – vor allem durch Mitgestaltung durch Bürgerinitiativen, aber auch durch Maßnahmen von Einzelpersonen, Genossenschaften und Unternehmen sowie durch das Zulassen von natürlicher Entwicklung – immer attraktiver, vielfältiger und artenreicher.
Urbane Grünstrukturen reduzieren durch ihre nächtliche Kaltluftproduktion urbane Wärmeinseln, und Allee- und Parkbäume spenden Kühle durch Schatten und Verdunstung. Fassaden- und Dachbegrünung wirken dämmend, im Sommer sowie im Winter. Außerdem kann städtische Vegetation durch das Binden von Schadstoffen aus der Umgebungsluft direkt zur Verbesserung der Luftqualität beitragen, und einen substanziellen Beitrag zur Lärmminderung leisten.Kowarik, I., Bartz, R., Brenck, M., & Naturkapital Deutschland – TEEB DE (Eds.). (2016). Ökosystemleistungen in der Stadt: Gesundheit schützen und Lebensqualität erhöhen. Naturkapital Deutschland – TEEB DE
3) Naturerleben im Alltag: Wir haben zahlreiche Projekte und Förderprogrammen ins Leben gerufen, um Natur erlebbar zu machen. Gärtnern in der Stadt wurde von einem anfänglichen Trend zu einer Notwendigkeit in einer lokal produzierenden, ressourcensparenden Gesellschaft. In Vorgärten, auf Dächern und Balkonen bauten immer mehr Menschen eigenes Gemüse an. Auch in den Innenstädten wuchs die Zahl an Gemeinschaftsgärten, die nicht nur den Zusammenhalt in der Nachbarschaft förderten, sondern auch zu neuen umweltpolitischen Initiativen führten.
Gärtnern in der Stadt fördert Gemeinschaft.Bell, S., Keshavarz, N., Drilling, M., Giedych, R., Poniży, L., Ioannou, B., Morán, N., Sondermann, M., Certomà, C., Hardman, M., Eizenberg, E., Tappert, S., Thomas, N., Zilans, A., Hursthouse, A. S., Leitão, T. E., Voigt, A., Heller, A., Bechet, B., … Evans, R. (2016). Urban allotments gardens in Europe (S. Bell, R. Fox-Kaemper, N. Keshavarz, M. Benson, S. Caputo, S. Noori, & A. Voigt, Eds.). Routledge. https://www.routledge.com/Urban-Allotment-Gardens-in-Europe/Bell-Fox-Kamper-Keshavarz-Benson-Caputo-Noori-Voigt/p/book/9781138588967 Kowarik, I., Bartz, R., Brenck, M., & Naturkapital Deutschland – TEEB DE (Eds.). (2016). Ökosystemleistungen in der Stadt: Gesundheit schützen und Lebensqualität erhöhen. Naturkapital Deutschland – TEEB DE
– Urban gardening ist auch heute schon ein Trend, und man kann heute schon in vielen deutschen Städten erleben, wie Gemeinschaftsgärten Zusammenhalt fördern (zum Beispiel der Allmende Kontor in Berlin, der Interkulturelle Garten Neuaubing in München oder der Internationale Garten in Göttingen. Spannend ist auch das Projekt der Annalinde in Leipzig: eine Minipodcast-Reihe „Kulturelle Kräuterporträts“, in der Bewohner:innen der Stadt Leipzig zu Wort kommen: 20 Menschen aus verschiedenen Ländern, 20 Perspektiven auf Kräuter und 20 Lebensgeschichten.
– Vorteile von urbanen Gärten und Grundsätze des urban gardening: Link
– Das Netzwerk Essbare Stadt fordert dazu auf, Obstbäume zum Ernten für alle freizugeben: Link