Konzentrische Zeichnung in BlauTönen. Außen GüterZüge, innen wenige Straßen, ein FlugZeug, viele StraßenBahnen und FahrRäder. In der Mitte ein örtlicher Markt und Menschen, die zu Fuß gehen.

Verkehrssystem

Konzentrische Zeichnung in BlauTönen. Außen GüterZüge, innen wenige Straßen, ein FlugZeug, viele StraßenBahnen und FahrRäder. In der Mitte ein örtlicher Markt und Menschen, die zu Fuß gehen.

Text (Stand 19.01.23)
Niklas Roming
Antje Albrecht
Gregor Hagedorn
Alexander Neumann

Lektorat
Lea Musiolek
Isabel Schmittknecht
Katharina van Treeck

Review
Achim Brunnengräber
Andreas Knie

Illustration
Nad Otterbach

2040 – Wir haben schon viel erreicht

Heutzutage ist das Verkehrssystem wieder vielfältiger als noch zu Beginn der 2020er Jahre. Während damals der Straßenverkehr dominierte, gibt es heute für jedes Transportproblem unterschiedliche Lösungen, deren Preise sich an den ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Kosten orientieren.

Die Entscheidungen, wo welche Infrastruktur ausgebaut wird, basierten nun endlich auf einer Abwägung aller Kosten mit dem jeweiligen Nutzen. Dabei flossen auf der Kostenseite auch wissenschaftliche Schätzungen von Umweltschäden, Flächenverbrauch und gesundheitlichen Effekten mit in die Kalkulation ein.

Da das Verkehrssystem digitalisiert ist, lässt sich schnell und einfach entscheiden, wie Menschen oder Waren am Besten von A nach B kommen. Wir sind nicht unbedingt kürzer unterwegs als früher, haben aber – durch Veränderungen in der Arbeitswelt – mehr Zeit zur Verfügung und gehen gern ein Stück weiter zu Fuß oder fahren mit dem Rad. Wir betrachten den öffentlichen Nahverkehr heute so wie früher eine Straße – als notwendige Infrastruktur, die über Steuern finanziert wird. Im Alltag ist der ÖPNV daher für alle kostenlos.

Gut ausgebaute Bahntrassen verbinden die großen europäischen Städte. Neue Hochgeschwindigkeitsstrecken, optimierte Taktung und Abstimmung von Anschlüssen mit dem verbesserten Nahverkehr haben dafür gesorgt, dass man im Grunde jeden Punkt in Deutschland jederzeit innerhalb von höchstens sechs Stunden mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann – das war früher selbst mit Auto oder Flugzeug kaum möglich. Distanzen bis 1000 Kilometer werden mit Flugzeugen nicht mehr bedient, da es bessere und günstigere Alternativen gibt. Um längere Strecken zurückzulegen, die mit Schiff und Bahn mehrere Tage dauern würden, gibt es Flugzeuge mit klimaneutralen Antrieben. Wir überlegen uns aber sorgfältiger als früher, ob wir das Flugzeug nehmen müssen – unabhängig von den Kosten.

Wasserstoff aus erneuerbaren Energien, Brennstoffzelle und Elektromotor, entweder als E-Fan oder mit Propeller, sind die Zutaten für modernes Fliegen. Flugzeuge mit herkömmlichen Mantelstrom- und Turboprop-Triebwerken, betrieben mit synthetischen Treibstoffen („Biokerosin“), dürfen zwar noch in den Luftraum der EU einfliegen, verschwinden aber wegen höherer Lärm- und Treibhausgasemissionen zusehends vom Himmel.Zech, K. et al. Biokerosin und EE-Kerosin für die Luftfahrt der Zukunft – von der Theorie zu Pilotvorhaben. Studie für das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). 193 https://bmdv.bund.de/SharedDocs/DE/Artikel/G/MKS/Wissenschaftliche-Untersuchen/biokerosin-eekerosin-luftfahrt.html (2016) Schmitt, M. Klimakrise und Wir (Ringvorleseung an der hhu Heinrich Heine Universität Düsseldorf im Sommersemester 2020). (2020)

Es werden weniger Waren transportiert als noch vor 20 Jahren, da viele Menschen einen einfacheren Lebensstil pflegen. Die Nachfrage nach regionalen Produkten ist zudem deutlich angestiegen. Durch den massiven Ausbau der Infrastruktur erlebt der Gütertransport auf der Schiene ein Comeback – gegenüber dem Transport auf der Straße ist der Transport auf der Schiene auch günstiger geworden. Die Güterzüge werden in Verteilzentren außerhalb der großen Städte entladen; bei der Auslieferung innerhalb der Städte kooperieren die beteiligten Unternehmen möglichst effizient, um die Zahl der notwendigen Fahrten innerhalb der Städte zu minimieren. Mittlerweile werden auch Güter und Personen auf dem Wasser umwelt- und klimaverträglich transportiert.

Schiffsantriebe werden mittlerweile ausschließlich mit synthetischen Kraftstoffen oder Wasserstoff und Brennstoffzelle betrieben. Auch hier hat die Elektromobilität Einzug gehalten. Besonders ist dies bei der Binnenschifffahrt zu sehen. Frachtschiffe, Fähren und „Ausflugsdampfer“ werden elektrisch angetrieben.Becker, M. Nachhaltige Kraftstoffe in der Seeschifffahrt. Sonderprojekte ATZ/MTZ 24, 58–58 (2019)
Im Jahr 2024ging mit dem schwedischen Flügelfrachter „Oceanbird“ das größte Segelschiff in Betrieb. „Flügelfrachter“ ist die Bezeichnung für ein hochseetaugliches Frachtschiff, bei dem der Hauptantrieb durch Tragflächenflügel erfolgt. Das unter dem Projektnamen Oceanbird entwickelte Frachtschiff wurde im Februar 2021 erstmals als Autotransporter geordert. Es ist etwas langsamer unterwegs als die mit Verbrennungsmotoren betriebenen Schiffe, spart aber rund 90 Prozent Treibstoff und Emissionen.

Die Maßnahmen, die uns auf den Weg brachten

Die hohe Nachfrage nach dem 9-Euro-Ticket war die Initialzündung für die Bundesregierung, um ab 2022 lange versäumte Veränderungen im Verkehrssektor auf den Weg zu bringen. Innerhalb einer Wahlperiode wurden sämtliche Subventionen im Verkehrssektor schrittweise abgeschafft. Prominente Beispiele waren die Dienstwagenregelung, die Pendlerpauschale, zu günstige Parkplätze in Innenstädten und die steuerliche Bevorzugung des Dieselkraftstoffes. Das dadurch eingesparte Steuergeld wurde konsequent in den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur gesteckt.

Das 9-Euro-Ticket wurde zur Reduzierung der Nutzung fossiler Energieträger aufgrund der Energiekrise, hervorgerufen durch die Invasion Russlands in der Ukraine, als befristetes Sonderangebot im öffentlichen Personennahverkehr ab 1. Juni 2022 angeboten. Es war ein Monatsticket für den gesamten ÖPNV innerhalb Deutschlands.
Zur Beschleunigung des Ausbaus der Bahninfrastruktur wurden Anlieger:innen an Bahntrassen gezielt für öffentliche Verkehrsprojekte begeistert, zum Beispiel mit einer kostenlosen BahnCard 100 für Anlieger:innen. Durch die Erweiterung des Bahnnetzes wurde auch die Kapazität für den Gütertransport auf der Schiene erhöht. Als vorbildlich galt hier die Schweiz, wo dies trotz Platzmangels konsequent umgesetzt wurde.

Parken im öffentlichen Raum könnte zum Beispiel nur noch über ein Ticket möglich sein, das über eine App im Smartphone erworben wird und mit dem Nummernschild verknüpft ist. Die Preise hierfür können an die Entwicklung angepasst werden. Sonderfahrzeuge, Fahrzeuge behinderter Menschen, öffentlicher Verkehr und Shuttleservices ab einer Passagierzahl von mindestens 10 Passagieren pro Fahrzeug könnten von der Gebühr ausgenommen werden. Ähnliche Ideen werden zum Beispiel von Prof. Andreas Knie (WZB Berlin) entwickelt.
Die Pendlerpauschale wird aktuell unabhängig vom genutzten Verkehrsmittel gewährt. Sinnvoller wäre es, Anreize für die Nutzung von ökologisch weniger schädlichen Verkehrsmitteln einzuführen: So werden zum Beispiel in der Schweiz steuerlich grundsätzlich nur die Fahrtkosten für den öffentlichen Verkehr angerechnet. Nur wenn eine deutliche Zeitersparnis durch die Nutzung eines Pkw nachgewiesen werden kann, werden die Pkw-Kosten berücksichtigt. Denkbar wäre auch eine Förderung des Rad- und Fußverkehrs, indem ersparte gesellschaftliche Gesundheitskosten durch Bewegungsmangel steuerlich abgesetzt werden können.

Studien schätzen, dass 70-90% aller Fahrzeuge eingespart werden könnten, wenn diese ausschließlich über Sharing-Modelle genutzt würden. Wichtig wäre hier jedoch, Leerfahrten zu vermeiden.Lange, S. & Santarius, T. Smarte grüne Welt? Digitalisierung zwischen Überwachung, Konsum und Nachhaltigkeit. (oekom Verlag, 2018)

SIEHE AUCH: Gesetze und Vorschriften

Eine große Justiz- und Steuerreform hatte erhebliche Auswirkungen auf das Verkehrssystem: Verzögerungen bei klimarelevanten Infrastrukturprojekten, insbesondere beim Ausbau von Bahnstrecken, wurden durch eine Beschleunigung von Genehmigungs- und Widerspruchsverfahren verringert. Eine erhöhte Flughafen-Startgebühr pro Sitzplatz und Frachteinheit machte Kurzstreckenflüge und Flüge im privaten Jet wirtschaftlich unattraktiver. Die Erlöse flossen direkt in den Ausbau der Bahninfrastruktur, um rasch Alternativen zu schaffen.

Zum Erreichen der Klimaziele muss eine echte Verkehrswende herbeigeführt werden. Diese beinhaltet Maßnahmen, die zu einer Verhaltensänderung der Verkehrsteilnehmer:innen führen – und damit den Anteil des motorisierten Individualverkehrs am Gesamtverkehr reduzieren. Eine sozialökologische Verkehrswende wird dabei nicht darauf abzielen, Menschen schneller zu immer weiter entfernten Orten zu bringen, sondern vor allem darauf, Versorgungsstrukturen im Nahraum aufzubauen: Dies hat den Vorteil, dass Menschen ihre Ziele meistens zu Fuß oder mit dem Rad erreichen können und nur selten lange Wege zurücklegen müssen. Man spricht daher auch von nachhaltiger Entschleunigung.Lange, S. & Santarius, T. Smarte grüne Welt? Digitalisierung zwischen Überwachung, Konsum und Nachhaltigkeit. (oekom Verlag, 2018)

Wir nehmen als Bezugspunkt für die Berechnung einer solchen zusätzlichen Startgebühr den längstmöglichen Flug zwischen Metropolen innerhalb Deutschlands: Hamburg – München. Ein solcher Flug verursacht laut atmosfair.de in der Economy-Klasse mit einem modernen, effizienten Airbus A321-Neo eine Klimawirkung entsprechend der Emission von 84kg CO2. Diese Klimawirkung setzt sich aus den direkten Auswirkungen der CO2-Emissionen und den indirekten Auswirkungen von Kondensstreifen, Ozonbildung und weiteren Effekten zusammen. Ausgehend von einem CO2-Preis von 698€/t CO2 (UBA) ergibt sich dann eine Startgebühr für einen solchen Flug von rund 60€/Sitzplatz (eine entsprechende Berechnung für Luftfracht ist ebenso möglich). Bei kürzeren Distanzen, Flügen in der Business-Klasse oder Privatflügen müsste die Gebühr deutlich steigen. Als Beispiel würde bei der Charter eines Privatjets (Dassault Falcon 7x) eine Klimawirkung von 1078kg CO2/Sitzplatz anfallen, entsprechend einer zusätzlichen Startgebühr von ca. 770€/Sitzplatz.

Da Fliegen mit grünen Technologien in absehbarer Zeit nicht umsetzbarBiofuelwatch & Ernsting, A. Aviation biofuels: How ICAO and industry plans for ‘sustainable alternative aviation fuels’ could lead to planes flying on palm oil. 25 https://www.biofuelwatch.org.uk/2017/aviation-biofuels/ (2017) und eine Kompensation von Emissionen im großen Stil problematisch ist,CJA Climate Justice Alliance, IEN Indigenous Environmental Network & Gilbertson, T. Carbon Pricing: A Critical Perspective for Community Resistance. 31 https://issuu.com/ggjalliance/docs/carbon-pricing-a-critical-perspective-for-communit (2017) Öko-Institut e.V. et al. How additional is the Clean Development Mechanism? Analysis of the application of current tools and proposed alternatives. 173 https://www.oeko.de/publikationen/p-details/how-additional-is-the-clean-development-mechanism (2016) ist es entscheidend, Flugreisen drastisch zu reduzieren.Finance and Trade Watch. Grünes Fliegen – gibt es das? 24 http://www.ftwatch.at/gruenes_fliegen/ (2017) Gleichzeitig herrscht beim Fliegen eine enorm große Ungleichheit und wenige Vielflieger:innen verursachen unverhältnismäßig viele CO2-Emissionen.Gössling, S. & Humpe, A. The global scale, distribution and growth of aviation: Implications for climate change. Global Environmental Change 65, 102194 (2020) Daher wäre es fair und effektiv, Flugtickets unterschiedlich hoch zu besteuern, damit vor allem Menschen mit hohem Einkommen, die viel fliegen, dazu bewegt werden, ihr Flugverhalten einzuschränken. Eine progressive Flugsteuer, bei der die Steuer pro Flugreise mit der Anzahl der insgesamt angetretenen Flugreisen pro Jahr ansteigt, würde vor allem Vielflieger:innen belasten.Stay Grounded & Kollektiv Periskop. Destination Degrowth – Flugverkehr gerecht reduzieren. 52 https://de.stay-grounded.org/report-degrowth-of-aviation/ (2021) Hierauf zielen auch die Ideen einer vom Abfluggewicht abhängigen Startgebühr (belastet Privatflüge stärker) und eines Verbots bestimmter Flugrouten ab (zum Beispiel für Kurzstrecken- oder Wochenendflugreisen; siehe zum Beispiel hier). Es ist jedoch fraglich, wie sich Verbote und progressive Flugsteuer unbürokratisch umsetzen lassen, wie hoch die politische Akzeptanz (insbesondere bei Verboten) ist, wie man mit Ausnahmen umgeht (sollen zum Beispiel Ausnahmen für Menschen gelten, deren Partner:in im Ausland lebt?). Ferner könnten ungewollte Dynamiken entstehen, wenn Menschen zum Beispiel versuchen, das Verbot von Kurztrips zu umgehen.

Innerhalb weniger Jahre änderte sich die Wahrnehmung der meisten Menschen beim Thema Mobilität. Da die neue Gesetzeslage nicht über Verbote, sondern über einfache wirtschaftliche Anreize funktioniert, bildete sich innerhalb weniger Jahre ein breiter gesellschaftlicher Konsens, wohin die Reise gehen soll und wir schufen neue Rahmenbedingungen. Der neue Rahmen gibt allen die Freiheit, ihre Bedürfnisse in Sachen Mobilität ökonomisch und ökologisch verträglich zu erfüllen.