Fokussiert

Arbeit & Einkommen

Fokussiert

Text (Stand 15.05.23)
Andreas Pfennig
Alexander Graf
Bernadette Menacher
Regine Rehaag
Paul C. Sommerhoff

Lektorat
Lea Musiolek
Antonia Rötger
Isabel Schmittknecht

Review
Frank Best

Illustration
Helena Detsch

2040 – Wir haben schon viel erreicht

Durch den Umbau von Industrie und Landwirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit hat sich die Arbeitswelt deutlich verändert. So arbeiten 2040 mehr Menschen in der Land- und Forstwirtschaft, während die Industrie in vielen Bereichen durch Digitalisierung und Automatisierung weniger Arbeitskraft benötigt. Landwirt:innen und Forstwirt:innen übernehmen zusätzliche Aufgaben. Sie stellen beispielsweise Rohstoffe für Biomaterialien, für Biokraftstoffe sowie für BECCS (Bio-Energy with Carbon Capture and Storage) bereit und pflegen die Flächen zur CO2-Speicherung sowie für den Habitat- und Artenschutz wie Moore, Brachflächen und naturnahe Wälder. So konnte das Höfesterben vom Anfang der 2000er Jahre gestoppt werden. Im Bereich Dienstleistungen gibt es viele neue Jobs, zum Beispiel in der Sorgearbeit in einer zunehmend alternden Gesellschaft sowie für Freizeitgestaltung, Hobbies und Sport. Außerdem entstanden viele neue Stellen in Reparaturwerkstätten und Recyclingbetrieben, um die Kreislaufwirtschaft anzukurbeln.

Die Landwirtschaft benötigt mehr Arbeitskräfte, weil eine nachhaltige Landwirtschaft arbeitsintensiv ist und frühere Weideflächen nach der veganen Ernährungswende heute teilweise ackerbaulich bewirtschaftet werden. Außerdem erbringt die Landwirtschaft Ökosystemleistungen für die Gesellschaft, die dem Habitat- und Artenschutz dienen und Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen.

Inzwischen gelingt es beispielsweise, aus Elektronikschrott Komponenten stofflich zu trennen und zu sekundären Rohstoffen aufzuarbeiten, die mit primären Rohstoffen vergleichbar sind und so die Stoffkreisläufe zu schließen. Dieser Industriezweig hat sich seit den 2020er Jahren deutlich weiterentwickelt, auch wenn im Zukunftsbild ‚Fokussiert‘ bis 2040 die Kreislaufwirtschaft noch nicht vollständig etabliert ist.Umweltbundesamt. Emissionen der Landnutzung, -änderung und Forstwirtschaft. https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgas-emissionen-in-deutschland/emissionen-der-landnutzung-aenderung#landwirtschaftlich-genutzte-moore (2020) SRU Sachverständigenrat für Umweltfragen. Kreislaufwirtschaft: Von der Rhetorik zur Praxis, Kap 3 in Umweltgutachten 2020. 556 https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/01_Umweltgutachten/2016_2020/2020_Umweltgutachten_Entschlossene_Umweltpolitik.pdf (2020) Dennoch führt das Wachstum dieses Industriezweiges dazu, dass mehr Arbeitskräfte benötigt werden. Insbesondere müssen unterschiedliche Abfallströme individuell behandelt werden, um eine gute Qualität der recycelten Rohstoffe zu erreichen.

Unsere Löhne sichern heute einen Lebensstandard, der mit dem Mitte der 2020er Jahre vergleichbar ist. Dies haben wir durch grünes Wirtschaftswachstum erreicht. Parallel zu mäßigem Wachstum wurde die Energiewende umgesetzt, sodass die Energiepreise bis heute stabil sind. Erste systematische Schritte hin zu einer Kreislaufwirtschaft liegen hinter uns. Beispielsweise nutzt die chemische Industrie schon zu einem großen Anteil Biomasse als Rohstoff, sodass der Kohlenstoffkreislauf zunehmend nachhaltig geschlossen wird. Wachstum und Ressourcenverbrauch sind weitgehend entkoppelt. So nutzen wir im Vergleich zur Mitte der 2020er Jahre kaum noch fossile Kohlenstoffquellen wie Kohle, Erdöl und Erdgas, oder Baustoffe wie Zement. Steuern und Abgaben werden stärker nach dem Verursacherprinzip erhoben als in den vergangenen Jahrzehnten. Dadurch sind nachhaltige Produkte verhältnismäßig günstiger als ressourcenverschwendender Konsum geworden, was den ‚Rebound‘-Effekt reduziert. Viele Menschen achten auch bewusster auf ihren Lebensstil und sind mit weniger materiellem Konsum zufrieden. Stattdessen legen sie mehr Wert auf eine ‚Work-Life-Balance‘ und gemeinsame Zeit mit anderen Menschen. Eine Finanztransaktionssteuer macht das Spekulieren mit Anlagen und insbesondere Derivaten unattraktiv. Die zusätzlichen Einnahmen werden beispielsweise verwendet, um Land- und Forstwirt:innen für das Betreuen der Ökosystemleistungen angemessen zu bezahlen, sodass sie nicht auf flächenbezogene Subventionen angewiesen sind.

VERWEIS: Produktion von Nahrung und nachwachsenden Rohstoffen, Landnutzungswandel und Böden, Medien und Kommunikation, Familienleben, Freizeit und Urlaub

Der Umbau zu einer nachhaltigen Wirtschaft erfordert bis 2040 große Investitionen. Die Veränderungen am Arbeitsmarkt müssen durch große gesellschaftliche Anstrengungen begleitet werden, beispielsweise in Weiter- und Fortbildung. Arbeitnehmer:innen, für die eine Umschulung nicht in Frage kommt, müssen sozial aufgefangen werden. Hinzu kommt, dass nachhaltige Landwirtschaft und Industrie erheblichen Mehraufwand bedeuten, der von der Gesellschaft erbracht werden muss. Die Ökosystemleistungen der Landwirtschaft wie nachhaltiges Landwirtschaften, Aufforsten, Wiedervernässen von Mooren und das Anlegen und Pflegen von Brach- und Blühflächen wird den Land- und Forstwirt:innen angemessen vergütet. Dies ist in den Facetten Produktion von Nahrung & nachwachs. Rohstoffen und Landnutzungswandel und Böden genauer beschrieben. Da diese Maßnahmen im Wesentlichen zu mehr Nachhaltigkeit führen, die landwirtschaftliche Produktivität aber kurzfristig nicht nennenswert erhöhen, müssen diese Mehrkosten von der Gesellschaft zusätzlich aufgebracht werden und können nicht beispielsweise auf Produktionssteigerungen umgelegt werden.Malézieux, E., Lesur-Dumoulin, C., Ben-Ari, T., Langlais, C. & Makowski, D. Yield variability in organic versus conventional systems: a meta-analysis for horticultural systems. in Book of abstracts of the XV European Society for Agronomy Congress : Innovative cropping and farming systems for high quality food production systems 52 (Agroscope, 2018) Mondelaers, K., Aertsens, J. & Van Huylenbroeck, G. A meta‐analysis of the differences in environmental impacts between organic and conventional farming. British Food Journal 111, 1098–1119 (2009) Zudem müssen die Staatsschulden, die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie aufgenommen wurden, bis 2040 abgebaut werden.
Die Finanzierung dieser Mehrkosten kann bei einem mäßigen Wirtschaftswachstum gelingen.Lange, S. & Strengmann-Kuhn, W. Wachstum, Postwachstum oder Degrowth? https://www.youtube.com/watch?v=rIQAJjy2NpE (2021) Gleichzeitig wird Nachhaltigkeit dadurch erreicht, dass die Wirtschaft defossiliert wird, die Energiewende abgeschlossen und die stofflichen Kreisläufe geschlossen werden.UNEP UN Environmental Programme et al. Decoupling Natural Resource Use and Environmental Impacts from Economic Growth. A Report of the Working Group on Decoupling to the International Resource Panel. 174 https://www.resourcepanel.org/reports/decoupling-natural-resource-use-and-environmental-impacts-economic-growth (2017) Im Zukunftsbild ‚Fokussiert‘ werden diese großen Aufgaben gestaffelt angegangen. Nach der Energiewende, die bis etwa 2045 abgeschlossen sein wird, wird parallel zum weiteren Umbau der Landwirtschaft bis 2070 BECCS im nötigen Umfang etabliert, um die Erderhitzung zu begrenzen und das Erdsystem mittelfristig wieder zu stabilisieren. Erst danach werden die verfügbaren Mittel eingesetzt, um die Stoffkreisläufe vollständig zu schließen.Umweltbundesamt. Emissionen der Landnutzung, -änderung und Forstwirtschaft. https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgas-emissionen-in-deutschland/emissionen-der-landnutzung-aenderung#landwirtschaftlich-genutzte-moore (2020) SRU Sachverständigenrat für Umweltfragen. Kreislaufwirtschaft: Von der Rhetorik zur Praxis, Kap 3 in Umweltgutachten 2020. 556 https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/01_Umweltgutachten/2016_2020/2020_Umweltgutachten_Entschlossene_Umweltpolitik.pdf (2020) Wo möglich, soll dies zwar schon bis 2040 realisiert werden, bis spätestens 2100 soll dieser Prozess dann abgeschlossen sein. So können beispielsweise Phosphor aus Klärschlamm in Düngemittelqualität abgetrennt oder die Rohstoffe in Handys oder Akkus als Reinstoffe zurückgewonnen werden.Phos4You et al. Phos4You – We deliver Phosphorus made in Europe – PHOSphorus Recovery from waste water FOR YOUr Life. Phos4You – PHOSphorus Recovery from waste water FOR YOUr Life https://www.nweurope.eu/projects/project-search/phos4you-phosphorus-recovery-from-waste-water-for-your-life/ (2021) Saeki, T. et al. Environment-Friendly Recycling Process for Rare Earth Metals in End-of-Life Electric Products. in Rare Metal Technology 2014 (eds. Neelameggham, N. R., Alam, S., Oosterhof, H., Jha, A. & Wang, S.) 103–106 (John Wiley & Sons, Ltd, 2014). doi:10.1002/9781118888551.ch20 Polyakov, E. G. & Sibilev, A. S. Recycling rare-earth-metal waste using hydrometallurgical methods. Theor Found Chem Eng 50, 607–612 (2016) Auf globaler Ebene kann der Ressourcenverbrauch nur dann begrenzt werden, wenn das stetige Bevölkerungswachstum gestoppt wird. Im Zukunftsbild ‚Fokussiert‘ wird dies bis 2070 durch intensivierte Anstrengungen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit erreicht. Bis dahin – so die Annahme – werden heute ärmere Länder auch eine Entwicklung durchlaufen haben, die allen Menschen einen angemessenen Lebensstandard sichert.
Durch die vegane Ernährungswende lassen sich die Kosten für nachhaltiges Wirtschaften begrenzen. Denn durch die vegane Ernährungswende wird ausreichende landwirtschaftliche Nutzfläche frei, die früher für die Tierwirtschaft genutzt wurde. Stünde diese Fläche nicht zur Verfügung, müsste statt BECCS das deutlich teurere DACCS (Direct Air Carbon Capture and Storage) eingesetzt werden, um CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen.Keith, D. W., Holmes, G., Angelo, D. St. & Heidel, K. A Process for Capturing CO2 from the Atmosphere. Joule 2, 1573–1594 (2018) Das würde auch die Etablierung einer CO2-Ökonomie nahelegen, bei der CO2 als Rohstoff für die Chemische Industrie sowie zur Herstellung von flüssigen Treibstoffen genutzt wird.Artz, J. et al. Sustainable Conversion of Carbon Dioxide: An Integrated Review of Catalysis and Life Cycle Assessment. Chem. Rev. 118, 434–504 (2018) DACCS und die Nutzung von CO2 als Rohstoff würde in entwickelten Ländern zu jährlichen Mehrkosten von etwa 6000€ pro Person führen.Pfennig, A. Sustainable Bio- or CO2 economy: Chances, Risks, and Systems Perspective. CBEN 6, 90–104 (2019) Pfennig, A. Bilanz-basierte Welt-Szenarien. https://www.vision3000.eu/sustainability-en/scenario-explorer-en (2021) Diese Kosten werden durch die vegane Ernährungswende vermieden.
Die Diskussion um alternative Wirtschaftsformen wie Degrowth, Postwachstums-Ökonomie, Gemeinwohl-Ökonomie oder eine grundlegende sozial-ökologische Transformation hat gerade unter dem Eindruck der COVID-19-Pandemie dazu geführt, dass Menschen den eigenen Konsum stärker hinterfragen.Lange, S. & Strengmann-Kuhn, W. Wachstum, Postwachstum oder Degrowth? https://www.youtube.com/watch?v=rIQAJjy2NpE (2021) EU-Umweltbüro & Langsenlehner, M. Factsheet „Postwachstum | Degrowth“. 4 https://www.eu-umweltbuero.at/inhalt/ContentElementPageController/ (2019) CodeCheck. Corona-Studie – Einkaufsverhalten während COVID-19 – Wie eine Pandemie die Art des Einkaufens verändert. 11 https://codecheck-app.com/de/corona-study/ (2020) Gleichzeitig machen der zunehmende Klimawandel genauso wie die Corona-Pandemie sehr deutlich, wie groß globale Abhängigkeiten sind und wie eng die verschiedenen Elemente unserer Gesellschaft verzahnt sind. Dies fördert eine gesamtheitliche Sicht auf die Gesellschaft und auf unser Handeln, die mehr Menschen dazu bewegt, den erreichten Lebensstandard wertzuschätzen und den Konsum zu begrenzen. Die aktuellen Entwicklungen legen nahe, dass Menschen zukünftig mehr Wert auf Work-Life-Balance, gemeinsame Zeit mit anderen Menschen und Muße statt auf eine immer weitere Steigerung des Konsums legen.CodeCheck. Corona-Studie – Einkaufsverhalten während COVID-19 – Wie eine Pandemie die Art des Einkaufens verändert. 11 https://codecheck-app.com/de/corona-study/ (2020) Bergman, M. M. The World after COVID. World 1, 45–48 (2020)

01 – Durch die ganzheitliche Sicht und mehr Ausrichtung auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Work-Life-Balance teilen sich Paare das Geldverdienen für die Familie untereinander auf.
02 – Die Arbeitszeit ist ausgelöst durch die Corona-Pandemie wesentlich flexibilisiert. Wo möglich werden beispielsweise Homeoffice und virtuelle Arbeitstreffen genutzt.Brenke, K. Home Office: Möglichkeiten werden bei weitem nicht ausgeschöpft. DIW Wochenbericht 83, 95–105 (2016) Die dabei ursprünglich aufgetretenen negativen Nebeneffekte wie reduzierter persönlicher Kontakt und Multitasking-Stress wurden wie in Facette Medien & Kommunikation sowie Familienleben, Freizeit & Urlaub beschrieben durch Fortschritte bei den digitalen Medien und dem Umgang mit ihnen in der Folge abgebaut.
03 – Die Zunahme an Freizeit und das gesteigerte Bewusstsein für die Gesellschaft als Ganzes haben auch dazu geführt, dass sich mehr Menschen ehrenamtlich betätigen, vorrangig im nachbarschaftlichen und regionalen Bereich. Es gibt auch Menschen, die Schwierigkeiten haben, aus eigenem Antrieb tätig zu werden, und die verfügbare Zeit zu ihrem eigenen Besten oder gar dem der Gesellschaft zu nutzen. Diese Menschen werden aber ‚mitgenommen‘, zum Beispiel durch sozial kompetente Mitmenschen, die sie für niedrigschwellige Ehrenämter oder Vereinsmitgliedschaften begeistern können. So gelingt es, auch Menschen am Rande der Gesellschaft besser zu integrieren und damit ihr Selbstwertgefühl zu stärken.
04 – Die Corona-Pandemie hat deutlich gemacht: Alle Menschen tragen mit ihrer Arbeit zum Funktionieren der Gesellschaft bei, von Manager:innen bis zu Hilfsarbeiter:innen. Dadurch steigt das Ansehen vieler Berufsgruppen, auch unabhängig vom Einkommen und von der Art der Ausbildung. Als Konsequenz können Arbeitnehmer:innen mehr Bestätigung in ihrer Arbeit finden als Mitte der 2020er Jahre.

Die Maßnahmen, die uns auf den Weg brachten

Die Veränderungen bei Arbeit und Einkommen haben wir durch folgende Entwicklungen erreicht:

01 – Die Energiewende, die zunehmende Nachhaltigkeit der Wirtschaft und die neuen Aufgaben einer nachhaltigen Landwirtschaft führen dazu, dass sich trotz Automatisierung und Digitalisierung der Arbeitsbedarf insgesamt nur wenig verändert.
02 – Das Wirtschaftssystem bleibt im Vergleich zu den vergangenen Jahrzehnten unverändert, sodass die Mehrkosten für zunehmend nachhaltiges Wirtschaften durch ein mäßiges Wirtschaftswachstum erbracht werden können. Gleichzeitig wird dieses Wachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppelt.
03 – Eine angemessen hohe Bepreisung umweltschädlicher Produkte führt dazu, dass Kosten von Umweltschäden von den Verursacher:innen selber statt von der Allgemeinheit getragen werden und dass umweltverträgliche Produkte attraktiver werden. Die Einnahmen daraus werden zur Entlastung der Bevölkerung insbesondere an ärmere Haushalte zurückgegeben.
04 – Durch die vegane Ernährungswende werden weitere Mehrkosten vermieden. Da die Fläche, die früher für die Tierwirtschaft eingesetzt wurde, für landwirtschaftliche Ökosystemleistungen zur Verfügung steht, müssen diese Leistungen nicht mit Hilfe teurer und energieintensiver Technologien erbracht werden.

Da im Zukunftsbild ‚Fokussiert‘ keine grundlegenden Änderungen der Gesellschaft und des politischen Systems angenommen werden, ist davon auszugehen, dass es kein bedingungsloses Grundeinkommen gibt.