Text 29.01.2025
Carsten Lausberg
Lektorat und Support
Annette Voigt
Christine Radomsky
Carla Klocke
Review
Anton Brokow-Loga
Sonja Knapp
Illustration
Frieder Beckmann
2040 – Was wir erreicht haben
Im Jahr 2040 wohnen wir noch weitgehend so wie 20 Jahre zuvor: Die meisten Häuser haben vier Wände und ein Dach, bestehen aus Stein, Beton oder Holz, standen auch 2021 schon und sind nicht nachhaltig.
Der Wohnungsmarkt reagiert extrem langsam auf Veränderungen. Im Jahr 2021 waren ca. 73 % der Wohngebäude in Deutschland älter als 30 Jahre und nur ca. 5 % jünger als 10 Jahre.BulwienGesa (2023): BulwienGesa (2023). Verteilung des Wohngebäudebestands in Deutschland nach Baujahr. Statista. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1385022/umfrage/wohngebaeude-in-deutschland-nach-baujahr/ Daran kann man erkennen, dass die Bedeutung von Neubauten für den Klimawandel gering und die der energetischen Sanierung von Bestandsgebäuden sehr hoch ist.
Das größte Problem ist, dass die Wohnfläche pro Kopf immer noch weit über dem nachhaltigen Niveau liegt. Dafür sind gesellschaftliche Entwicklungen verantwortlich wie etwa die hohe Zahl der Single-Haushalte und der Wunsch vieler Städter:innen, im Einfamilienhaus in einem Vorort oder auf dem Land zu leben.
Je größer die bewohnte Fläche, desto höher ist tendenziell auch der Energieverbrauch bei der Herstellung eines Hauses und während des Gebrauchs. Deshalb ist die Reduzierung der Wohnfläche pro Kopf von aktuell ca. 48 m² im Jahr 2021 Statistisches Bundesamt (2023): Statistisches Bundesamt (2023). Wohnungsbestand nach Anzahl und Quadratmeter Wohnfläche. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Wohnen/Tabellen/wohnungsbestand-deutschland.html ein wichtiger Hebel für den Klimaschutz. Mögliche Maßnahmen reichen von Beratungsangeboten bis zu einer Steuer auf besonders große Wohnungen. Diese wirken jedoch ebenso wie die Erhöhung der Heizenergiepreise nur indirekt und langfristig.
Die Urbanisierung ist ein weltweiter Megatrend. Auch in Deutschland zogen in der Vergangenheit jedes Jahr mehr Menschen in die Städte ((Re-)Urbanisierung) als von dort in die Vorstädte (Suburbanisierung) und aufs Land (Desurbanisierung). Möglicherweise wird sich dieser Trend mit dem Ausbau der ländlichen Infrastruktur (insbesondere ÖPNV, Mobilfunk und Internet) und der Zunahme von Home Office umkehren – mit positiven wie negativen Folgen für das Klima.
Milbert (2017): Milbert, A., Wie viel (Re-)Urbanisierung durchzieht das Land?, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) (Hrsg.), BBSR-Analysen KOMPAKT 07/2017
https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/analysen-kompakt/2017/ak-07-2017.html Held & Waltersbacher (2015): Held, T., & Waltersbacher, M. (2015). Wohnungsmarktprognose 2030. Bundesinstitut für Bau-, Stadt-und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/analysen-kompakt/2015/AK072015.html Runst & Thonipara (2019): Runst, P., Thonipara, A. (2019). Effektivität einer CO2-Besteuerung im Wohngebäudesektor: empirische Hinweise. Wirtschaftsdienst Zeitschrift für Wirtschaftspolitik Vol. 99 Nr. 12, S. 832-835. https://www.researchgate.net/publication/337926079_Effektivitat_einer_CO2-Besteuerung_im_Wohngebaudesektor_empirische_Hinweise Wuppertal Report Nr. 9 (2017): Energiesuffizienzpolitik mit Schwerpunkt auf dem Stromverbrauch der Haushalte. Abschlussbericht zu AP3 des Projekts Energiesuffizienz. BMBF/FONA FKZ 01 UN 1214B.https://wupperinst.org/en/a/wi/a/s/ad/3790/
Einen suffizienten Wohnstil haben hauptsächlich zwei Gruppen von Menschen: erstens solche, die bewusst nachhaltig leben. Ihr Wohnideal ist die Wohngemeinschaft, in der heute nicht nur Studierende wohnen, sondern auch viele Familien, berufstätige Singles und Senior:innen. Sie nutzen auch wohnungsnahe Freiräume gemeinschaftlich, zum Beispiel für urbanes Gärtnern. Zweitens sind es Menschen, die sich wegen der hohen Mieten in den Städten keine große Wohnung leisten können. Und das sind viele, denn weder der Anstieg der Mietpreise noch der Zuzug von Klimaflüchtlingen konnte gebremst werden.
Wuppertal Report Nr. 9 (2017): Energiesuffizienzpolitik mit Schwerpunkt auf dem Stromverbrauch der Haushalte. Abschlussbericht zu AP3 des Projekts Energiesuffizienz. BMBF/FONA FKZ 01 UN 1214B.https://wupperinst.org/en/a/wi/a/s/ad/3790/ Brohmann & Gsell (2017): Brohmann B., Gsell M. (2017) Neue Konzepte für nachhaltiges Wohnen und für nachhaltige Mobilität: Optionen der ökologischen und ökonomischen Bewertung. In: Jaeger-Erben M., Rückert-John J., Schäfer M. (eds) Soziale Innovationen für nachhaltigen Konsum. Innovation und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden.https://doi.org/10.1007/978-3-658-16545-1_5 Ryan-Collins (2018): Ryan-Collins, J. (2018). Why Can’t You Afford a Home? Polity Press, Cambridge.
https://discovery.ucl.ac.uk/id/eprint/10061356/
https://www.wiley.com/en-us/Why+Can%27t+You+Afford+a+Home%3F-p-9781509523252
Der Trend zur Sharing Economy ist schon seit einigen Jahren erkennbar, zum Beispiel beim Carsharing. Beim Wohnen gibt es einerseits traditionelle Ansätze wie Genossenschaften, andererseits neue wie Wohnungstauschbörsen, die erst durch das Internet möglich wurden.
Der starke Anstieg der Wohnungsmieten vor allem in den Ballungszentren hat viele Gründe. Der Hauptgrund ist, dass das Angebot nicht mit der steigenden Nachfrage Schritt gehalten hat. Die Nachfrage steigt permanent durch den Zuzug in die Städte, Migration (innerhalb der EU und von außerhalb) und ähnliche Trends, während das Angebot unter anderem durch restriktive Baulandausweisung knapp ist. Ein anderer Grund ist, dass auf dem Wohnungsmarkt viele gewinnorientierte Investoren und Banken tätig sind.
Der Ressourcen- und Energieverbrauch für das Wohnen ist immer noch sehr hoch. Viele Häuser sind bis jetzt nicht vollständig energetisch saniert, und beim Neubau werden weiterhin Rohstoffe wie Sand, Zement und Metalle verbraucht. Überhaupt hat sich der Kreislaufgedanke noch nicht richtig durchgesetzt, denn beim Abriss von Gebäuden werden viele Baustoffe nicht wiederverwendet. Allerdings sind die seit 2021 entstandenen Gebäude zum Teil Plus- oder Nullenergiehäuser, die Energie aus erneuerbaren Quellen beziehen, aus recycelten, nachwachsenden oder smarten Baustoffen bestehen und begrünt sind.
Knoche et al. (2024). Anton Knoche, Kathrin Kaestner, Manuel Frondel, Andreas Gerster, Ralph Henger, Martina Milcetic, Christian Oberst, Michael Pahle, Antonia Schwarz, Puja Singhal (2024): Ariadne-Fokusreport Wärme und Wohnen – Zentrale Ergebnisse aus dem Ariadne Wärme- & Wohnen-Panel 2023. Kopernikus-Projekt Ariadne, Potsdam. https://doi.org/10.48485/pik.2024.014
Es ist schon längst technisch möglich, ein ökologisch nachhaltiges Haus zu bauen. Das entspricht auch den im Jahr 2024 geltenden Normen für Neubauten. Doch das kann nicht die Lösung für den gesamten Wohnungsbestand in Deutschland sein. Sowohl Abriss und Neubau als auch radikaler Umbau aller alten Gebäude wären ökonomisch und ökologisch nicht sinnvoll und würden andere Ziele wie soziale Nachhaltigkeit und Denkmalschutz beeinträchtigen. Der größte Hebel für nachhaltiges Wohnen ist daher die Bestandssanierung beziehungsweise die deutliche Steigerung der Sanierungsrate von unter 1% im Durchschnitt der letzten Jahre auf ein Mehrfaches davon.
In den Städten gefährden unausgewogene Nachverdichtung und der Bau von Quartieren mit geringer Freiraumqualität zunehmend andere wichtige Ziele. Dazu gehören Sicherung, Ausbau und Vernetzung von Grünflächen, eine qualitativ hochwertige Freiflächengestaltung sowie klima- und standortgerechte Pflanzenwahl. Städte werden zwar zunehmend an den Klimawandel angepasst, jedoch können die Maßnahmen zur Stadtbegrünung und Wasserrückhaltung den langen Hitze- und Trockenperioden wenig entgegensetzen. Gleichzeitig müssen zum Schutz vor Hochwasser- und Starkwetterereignissen in der Stadt wie auf dem Land immer größere Flächen für Überflutungen reserviert werden.
Neben den ökologischen Problemen hat Deutschland auch mit sozialen Problemen zu kämpfen. Dass beispielsweise die räumliche Trennung von sozialen Gruppen zu sozialen Spannungen führt und die Integration von Migrant:innen erschwert, war seit den 1970er Jahren bekannt. Dennoch hat man in der Wohnungspolitik das Ziel der sozialen Nachhaltigkeit zu lange nicht richtig verfolgt.
Klimaneutrales und insgesamt nachhaltiges Wohnen ist für Deutschland bis 2040 kaum erreichbar. Realistisch ist aber, dass durch mehr Effizienz, Konsistenz und Suffizienz erhebliche Verminderungen des Energieverbrauchs erreicht werden können. Ferner können staatliche Eingriffe und ein Bewusstseinswandel in der Bevölkerung die soziale Nachhaltigkeit des Wohnens steigern.
Die Maßnahmen, die wir auf den Weg brachten
In der ersten Hälfte der 2020er Jahre war die deutsche Politik geprägt durch eine Pandemie, Kriege, Wirtschaftskrisen sowie einen fehlenden gesellschaftlichen Konsens über den Klimaschutz. Zwar wurden geeignete Maßnahmen wie das GebäudeenergiegesetzGEG (2020, 2023): Gesetz zur Einsparung von Energie und zur Nutzung erneuerbarer Energien zur Wärme- und Kälteerzeugung in Gebäuden. https://www.gesetze-im-internet.de/geg/GEG.pdf und das BrennstoffemissionshandelsgesetzBEHG (2019, 2023): Gesetz über einen nationalen Zertifikatehandel für Brennstoffemissionen. https://www.gesetze-im-internet.de/behg/ beschlossen, aber diese enthielten zu viele Ausnahmen und zu lange Übergangsfristen, um wirklich wirksam zu sein. Diese Politik setzte sich in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts zunächst fort.
Erst unter dem Eindruck immer häufigerer und teurer Umweltkatastrophen, immer mehr Klimaflüchtlingen und immer größeren sozialen Problemen setzte in Politik und Gesellschaft ein Umdenken ein. Viele Jahre zu spät, aber immerhin, wurde zum Beispiel eine Bodenreform beschlossen und das gemeinschaftliche Wohnen wurde zu einem neuen Ideal für viele Menschen.