Text
Tina Heger
Gregor Hagedorn
Hubert Weiger
Lektorat
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Review
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Illustration
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2040 – Wir haben schon viel erreicht
Im Jahr 2040 leben wir in einer Welt, in der Mensch und Natur in einer neuen Balance koexistieren. Die groß angelegte gesellschaftliche Transformation der 2020er Jahre hat nachhaltige Spuren hinterlassen. Unsere Land- und Süßwassersysteme sind widerstandsfähiger und artenreicher sowie integraler Bestandteil unseres Alltags. Wälder, Moore und Auenlandschaften wurden nicht nur geschützt, sondern aktiv renaturiert. Diese Ökosysteme liefern heute entscheidende Dienstleistungen: Sie speichern Kohlenstoff, regulieren das Klima, reinigen Wasser und bieten Lebensraum für eine Vielzahl von Arten.
Ökosystemdienstleistungen sind die direkten und indirekten Beiträge von Ökosystemen zum menschlichen Wohlbefinden, wie z.B. die Bereitstellung von Nahrung und sauberem Wasser oder die Klimaregulation (MEA 2005).
Dank nachhaltiger Landnutzungskonzepte wie Agroforstwirtschaft und ökologischer oder regenerativer Landwirtschaft haben wir die Biodiversität in Agrarlandschaften wiederhergestellt. Böden sind fruchtbarer, da chemische Düngemittel drastisch reduziert wurden und natürliche Dünger durch Kreislaufwirtschaft die Nährstoffversorgung sichern. Urbane Räume sind durch Grünräume, als sogenannte grüne Infrastrukturen geprägt, die nicht nur die Lebensqualität erhöhen, sondern auch zentral zur Anpassung an den Klimawandel beitragen. Die städtischen Räume wurden zu „Schwammstädten“ fortentwickelt, um wo immer möglich den Niederschlag direkt oder indirekt der Versickerung zuzuführen. Große Stadtbäume sind zum Symbol der grünen Zukunftsstadt geworden.
Oberirdische Süßwassersysteme wie Flüsse und Seen und unterirdische Süßwassersysteme wie Grundwasservorkommen sind deutlich weniger durch Stoffeinträge belastet. Die oberirdischen Systeme sind wieder strukturreich und vielfältig. Renaturierungsprojekte haben Bäche und Flüsse von begradigten Gerinnen wieder in dynamische Ökosysteme verwandelt, befreit von den Fesseln früherer, harter Flussbaumaßnahmen. Nicht zuletzt durch die Entfernung von Flussufersteinen, durch die Vergrößerung der den Flüssen zugeschlagenen Fläche durch breite Uferstreifen und durch die aktiven Gestaltungsmaßnahmen des überall in Deutschland tätigen Bibers wurden diese Entwicklungen ermöglicht. Bei 50 Prozent der Gewässer sind die Zielgrößen bereits erreicht worden und bei weiteren 50 Prozent sind die Maßnahmen in der Vorbereitung, sodass die Ziele der europäischen Wasserrahmenrichtlinie – zwar mit Verspätung – bis 2045 flächendeckend erreicht werden, nämlich einen guten Zustand aller Gewässer herzustellen.
Ein grundlegender Wandel in den Ernährungsgewohnheiten [Interner Link zum Zukunftsbild „Ernährung“] hat Fläche freigesetzt. Heute sind zahlreiche früher entwässerte Moorstandorte, welche zuletzt große Mengen CO2 freigesetzt hatten, aus der Nutzung genommen und renaturiert. Der staatliche stark forcierte Umbau forstlicher Monokulturen zu artenreichen und vielfältigen Wäldern schreitet weiter zügig voran und wird 2045 abgeschlossen sein.
„Rewilding“ bezeichnet das Ziel, auf großen Flächen natürliche Entwicklung zuzulassen. Bis auf gezielte Maßnahmen, z.B. Wiederansiedlungen bestimmter Arten, wird auf menschliche Eingriffe weitgehend verzichtet (s. z.B. https://rewildingeurope.com/). Eine wichtige Rolle spielen dabei die Kernzonen der Nationalparke und Biosphärenreservate in Deutschland sowie die auf 5 % der Waldfläche sich entwickelnden größeren Naturwaldreservate, vor allem im Bereich der öffentlichen Wälder (Bundes-, Staats- und Komunalwälder). Auf diesen Flächen sind natürliche Prozesse möglich und damit auch die natürliche Verbreitung hochgefährdeter Arten wie Luchs und Wildkatze. In ausgewählten Bereichen, in denen auch größere Grasländer vorhanden sind, so z.B. in Überflutungsgebieten der großen Flüsse, kam es auch zur erfolgreichen Wiederansiedlung großer Pflanzenfresser, wie z.B. die Wisentherde im Unteren Odertal (https://rewildingeurope.com/landscapes/oder-delta/). Auch Heckrinder und Wildpferde werden, wie z.B. im Naturschutzgebiet Tennenloher Forst (https://www.wildpferde-tennenlohe.de/startseite.html) oder im niederländischen Schutzgebiet Oostvaardersplassen (https://www.nationaalparknieuwland.nl/de/oostvaardersplassen/oostvaardersplassen-almere) erfolgreich für das Schutzgebietsmanagement eingesetzt. Sie sollen dazu beitragen, verloren gegangene Ökosystemprozesse wiederherzustellen und dadurch das Aussterben weiterer Arten zu verhindern (Galetti et al. 2017).
Die neu entstandenen artenreichen, vielfältigen und regionaltypischen Gebiete werden von uns gerne und häufig zur Naherholung genutzt; auch unsere Stadtökosysteme sind inzwischen artenreich und vielfältig FACETTENLINK: Naturerleben.
Es gibt bereits heute zahlreiche Initiativen, Städte in großem Umfang zu begrünen (https://de.thegreencity.eu/; international z.B. https://www.biophiliccities.org/, https://natura-net.org/). Große Hoffnung wird hierbei auf sogenannte ‚nature-based solutions‘ (naturbasierte Lösungen) gesetzt. Dies sind, Zitat: „Lösungen, die von der Natur inspiriert und unterstützt werden, die kosteneffizient sind, ökologische, soziale und wirtschaftliche Vorteile bieten und zum Aufbau von Resilienz beitragen. Derartige Lösungen bringen, durch lokal angepasste, ressourceneffiziente und systemische Interventionen, vielfältigere Natur und Prozesse in Städte, Landschaften und Meeresgebiete.“ (https://ec.europa.eu/info/research-and-innovation/research-area/environment/nature-based-solutions_en, eigene Übersetzung). Beispiele sind Gründächer, begrünte Fassaden (z.B. https://gruenwand.com/), „Regengärten“ und Wasserrückhaltezonen mit naturnaher Vegetation (European Commission 2015).
01 – Moringa Hamburg: in der Hafenstadt Hamburg entsteht ein begrüntes Haus, das zudem voll recyclebar sein soll
02 – https://www.kadawittfeldarchitektur.de/projekt/moringa-2/
03 – Bündnis Kommunen für Biologische Vielfalt (https://www.kommbio.de/home/
04 – Kommunen können sich für das Label „Stadtgrün Naturnah“ bewerben (https://www.stadtgruen-naturnah.de/home/), und es gibt einen Wettbewerb „Naturstadt“ (https://www.wettbewerb-naturstadt.de/)
05 – Green City München (https://www.greencity.de/) – Initiative zur Verbesserung der Lebensqualität in München
06 – In Berlin hat Förderung von Stadtgrün einen hohen Stellenwert (https://www.berlin.de/sen/uvk/natur-und-gruen/landschaftsplanung/)
Die Maßnahmen, die uns auf den Weg brachten
Dies alles konnten wir erreichen, weil die Aktivitäten vieler Einzelner sowie lokale Initiativen und große politische Veränderungen in dieselbe Richtung liefen und sich gegenseitig verstärkten. Der Wandel begann in den 2010er Jahren und verstärkte sich in den frühen 20er Jahren, als die Gesellschaft vor der Wahl stand: Weitermachen wie bisher oder einen radikalen Kurswechsel einschlagen.
Angesichts der Megatrends, die sich sowohl in Bezug auf das Erdsystem als auch in der Wirtschaft und Gesellschaft abzeichnen, wird deutlich, dass eine Transformation zur klimaverträglichen, nachhaltigen und damit zukunftsfähigen Gesellschaft notwendig ist. Ohne einen Kurswechsel sind die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit gefährdet und die künftigen Entwicklungschancen der Gesellschaft deutlich eingeschränkt (WBGU 2011). Der Wandel, der sich in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vollziehen muss, um die vielfältigen Krisen (wie den Klimawandel und seine Auswirkungen, das Artensterben, Wasserknappheit und Bodendegradation) zu bewältigen, wird oft als „Große Transformation“ beschrieben. Die zentralen Anforderungen dieser umfassenden Transformation ergeben sich aus den planetaren Belastungsgrenzen, die einen Umbau der nationalen Ökonomien und der Weltwirtschaft innerhalb dieser Grenzen erzwingen, um eine irreversible Schädigung aller Ökosysteme und der daraus folgenden Last für die Menschheit zu vermeiden. Produktion, Konsummuster und Lebensstile müssen entsprechend verändert werden.
Auch haben wir immer mehr erkannt, dass Klima- und Biodiversitätskrise nur gelöst werden können, wenn man sie gleichzeitig angeht.
Wir erleben weltweit ein dramatisches, durch den Menschen verursachtes Massenaussterben von Tier- und Pflanzenarten. Damit nimmt auch die Kapazität der Ökosysteme erheblich ab, die aber zur Klimaregulierung und zu unserer Ernährungssicherung erheblich beitragen (WBGU 2020). Artenreiche Ökosysteme scheinen zudem zur Kohlenstofffixierung besser geeignet zu sein; Hinweise darauf wurden z.B. für artenreiche Wälder im Vergleich zu Monokulturen gefunden (Anand et al. 2019). Nicht nur Wälder und Bäume fixieren CO2, sondern auch viele andere Lebensräume (Temperton et al. 2019), ganz besonders Moore, Extensivgrünland (Dass et al. 2018) und Hartholzauenwälder (http://uhh.de/median). D. h. die Klimakrise und der Verlust der biologischen Vielfalt hängen zusammen und müssen auch gemeinsam bekämpft werden.
Der Klimawandel, das Artensterben und wachsende soziale Ungleichheiten machten ein „Weiter so“ unmöglich. Pioniere und Pionierinnen des Wandels, dazu zählte vor allem die Fridays-for-Future- Bewegung, weil sie es verstand, die bisher meist nur fachlich geführte Debatte in eine breite öffentliche Debatte zu verwandeln, aber auch wachsende zivilgesellschaftliche Bewegungen wie der Mitgliederverband BUND oder die Bewegungsorganisation Greenpeace, sowie eine wachsende wissenschaftliche Evidenz schufen den Druck, der notwendig war, um politische Entscheidungen zu beschleunigen. So haben ein starker Rückhalt in der Bevölkerung und wachsende Unterstützung durch die Kommunalpolitik, welche mit den Folgen der Klimakrise (extreme Starkregen, Hitzewellen) immer stärker konfrontiert wurde, zu einem Umschwung im politischen Handeln geführt, und wir konnten eine Reihe entscheidender Maßnahmen in die Wege leiten.
Die Transformation war kein linearer Prozess. Sie entstand aus einem Zusammenspiel von Maßnahmen: Die Einführung einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft förderte nachhaltige Produktions- und Konsummuster. Suffizienzstrategien betonten das „Weniger ist mehr“ und reduzierten den Ressourcenverbrauch. Gleichzeitig wurden technologische Innovationen gezielt zur ökologischen Regeneration eingesetzt, z.B. in der präzisen Landwirtschaft oder im intelligenten Wassermanagement.
Demokratische Partizipation wurde gestärkt, indem Bürger:innen direkt in Entscheidungsprozesse eingebunden wurden. Der Staat spielte eine aktive Rolle als Gestalter und setzte klare Rahmenbedingungen für den Schutz von Ökosystemen. Internationale Kooperationen definierten globale Nachhaltigkeitsziele, die lokal wirksam umgesetzt wurden