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Verkehrssystem

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Text
Harald Schuster
Ute Symanski

Lektorat
Carla Klocke

Review
Hartmut Graßl

Illustration

2040 – Wir haben schon viel erreicht

Bis 2040 hat sich der Verkehr grundlegend gewandelt. Er ist nicht mehr nur ein Mittel zum Zweck, sondern auch viel stärker ein sozialer Raum, der Begegnung, Austausch und Gemeinschaft fördert (Sheller & Urry, 2006; Urry, 2007). Anstelle von vielen Fahrzeugen mit meist nur einer Person prägen Fußgänger:innen und Radfahrer:innen sowie flexible und gemeinschaftsorientierte Verkehrsmittel und andere Mobilitätslösungen das Bild der (Innen)-Städte

Etymologische Entwicklung des Wortes „Verkehr“ (Pfeifer & Wiegand, 1993): Das Wort stammt aus dem Mittelhochdeutschen „verkēren“. Es setzt sich zusammen aus dem Präfix „ver-“ (in der Bedeutung von anders machen, wechseln) und „kehren“ (von althochdeutsch „kehran“ = wenden, drehen). Bereits im 16. Jahrhundert entwickelte sich die Bedeutung von „verkehr“ im Sinne von „Umgang, Austausch zwischen Menschen“, etwa in Handelsbeziehungen oder gesellschaftlichen Kontakten (Grimm & Grimm, 1854–1961).
Bis heute spricht man von „gesellschaftlichem Verkehr“, wenn man zwischenmenschliche Interaktion meint. Auch der Austausch von Waren, Dienstleistungen oder Zahlungsmitteln (z. B. Handelsverkehr, Zahlungsverkehr) wird unter „Verkehr“ subsumiert. In diesem Sinne verstehen wir unter Verkehr nicht nur Transport (z. B. Straßenverkehr), sondern auch eine Form des Kontakts, der Interaktion und des sozialen Austauschs“.

In Innenstädten bewegen sich Menschen nahtlos zwischen verschiedenen Mobilitätsformen: Mit autonomen E-Bussen, Fahrrädern, dem Zufußgehen und gemieteten Fahrzeuge schaffen Menschen ein engmaschiges Netz (Jensen, 2013).

Diese Verkehrsmittel funktionieren auch als soziale Orte. Mobilitätsstationen und „soziale“ Buchten im öffentlichen Raum sind gleichzeitig Begegnungszonen, ausgestattet mit urbanen Möbeln und begrünten Wartebereichen, die die Menschen dazu einladen, miteinander ins Gespräch zu kommen. Es gibt zudem offene Werkstätten, ausgestattet mit sog. Fahrradreparatursäulen. Dort wird den Menschen die Möglichkeit geboten, gemeinsam Fahrrädern zu reparieren.

Öffentliche Mobilitätsstationen und soziale Buchten haben sich in Gemeinschaftsräume verwandelt: Menschen steigen in Verkehrsmittel ein, oder sie steigen um (Kaufmann, 2020). Diese Orte sind darüber hinaus Transfer-Schnittstellen, und sie sind Aufenthaltsorte, Lesecafés oder Orte für spontane Veranstaltungen (Cidell, 2020). Menschen treffen sich, lernen neue Perspektiven kennen und beteiligen sich an lokalen Initiativen, die über Bildschirme oder Mitmachstationen beworben werden. Die Mobilität von 2040 ist inklusiv und ermöglicht allen Menschen eine aktive Teilhabe am städtischen Leben (Gehl & Rogers, 2013). Öffentliche Nahverkehrsmittel sind kostenlos, finanziert durch die dafür ausgestatteten Gemeinden. Die elektrischen Fahrzeuge sind so konzipiert, dass sie unterschiedliche Bedürfnisse berücksichtigen: von barrierefreien Ein- und Ausstiegen bis hin zu personalisierbaren Innenräumen, die Ruhe oder soziale Interaktion ermöglichen (Institute for Transportation & Development Policy, 2024).

Im Zusammenhang mit sozialer Interaktion an Orten jenseits von Zuhause und Arbeitsplatz wurde in der bisherigen Forschung häufig auf das Konzept der „dritten Orte“ (Oldenburg, 1989) verwiesen, das sich auf quasi öffentliche Räume wie Cafés, Kneipen, Gemeindezentren oder Bibliotheken bezieht (Aelbrecht, 2016). Die zeitgenössische Forschung ergänzt das Konzept um „vierte Orte“ (Aelbrecht, 2016). Vierte Orte haben ein hohes Maß an öffentlicher Zugänglichkeit und können räumlich, zeitlich und funktional sowohl privat wie auch öffentlich genutzt werden. Oft sind es Orte ohne Konsumzwang mit freier Zugänglichkeit. Diese Orte funktionieren als soziale Begegnungsorte (Manthe, 2024). Das Konzept der „vierten Orte“ lässt sich auch auf Mobilitätsräume übertragen (Banister, 2008; Cresswell, 2006).

Während Menschen auf ihr nächstes Verkehrsmittel warten, oder wenn sie ihre Rad- oder Fußwegeketten unterbrechen, können sie an urbanen Gärten arbeiten, gemeinsam kochen oder an offenen Werkstätten teilnehmen.

Inklusive Mobilität bedeutet, dass alle Menschen – unabhängig von Alter, Einkommen, Geschlecht, körperlicher oder kognitiver Einschränkung – gleichberechtigten Zugang zu Verkehrsmitteln und öffentlichem Raum haben. Sie ist essenziell für soziale Teilhabe, wirtschaftliche Integration und die Verwirklichung eines gerechten Stadtbildes (Ricci et al., 2016). Barrieren in der Mobilität können physischer, finanzieller oder sozialer Natur sein. Fehlende barrierefreie Infrastruktur, unbedacht abgestellte Fahrzeuge, hohe Fahrpreise oder diskriminierende Stadtplanung schließen oft Ältere, Behinderte und Arme von der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel aus (Lucas, 2012).

Viele Straßen sind nicht länger in erster Linie Durchgangsorte, sondern urbane Lebensräume (Schwanen, 2022).

Ehemalige Parkplätze wurden in Mikroparks oder Sportflächen umgewandelt. Mobilität ist mit Teilhabe, Vernetzung und Lebensqualität verbunden (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, 2024), und nicht mehr mit Stress und Isolation.

SIEHE AUCH: Mobilität

Insgesamt hat sich das Verständnis von Bewegung verändert: Es geht darum, soziale Räume zu gestalten, die Begegnungen fördern und das Stadtleben bereichern. Mobilität ist ein lebendiger, sich ständig wandelnder sozialer Raum – ein kollektives Erlebnis, das Stadtbewohner*innen miteinander verbindet. Mobilität 2040 ist ein gemeinschaftlicher Raum, in dem das soziale Miteinander im Mittelpunkt steht.

Die Maßnahmen, die uns auf den Weg brachten

Die Gestaltung von Mobilität hat einen tiefgreifenden Einfluss auf das soziale Leben in Städten. Während herkömmliche Verkehrsplanung lange Zeit auf den schnellen Transport von A nach B ausgerichtet war, setzten sich bereits in den 2020er Jahren neue Konzepte durch, die Mobilität als sozialen Raum begreifen (te Brömmelstroet et al., 2022) . Der öffentliche Raum soll auch ein Ort der Begegnung, des Austauschs und der aktiven Teilhabe sein. Aktive Mobilität, also Fuß- und Radverkehr, spielt dabei eine zentrale Rolle: Sie reduziert Barrieren, fördert das Miteinander und stärkt die lokale Nachbarschaft (Schuster et al., 2023).

aktive Mobilität (zu Fuß oder mit dem Rad): In den Niederlanden wird schon heute ein Viertel aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt, in Deutschland sind es nur 11 %. Zu Fuß werden 22 % erreicht (wo? in D? in den NL?) (BAG, 2021; European Commission, 2021; Nobis et al., 2019b). Sich zu Fuß  und mit dem Fahrrad bewegen, ist auch für Kommunen und Einzelpersonen vorteilhaft, da das Stau und Lärm mindert sowie die Umwelt schont. Zufußgehen, lässt die Umgebung mit allen Sinnen erleben, den Weg unmittelbar wechseln und erhöht die Chance zum Gespräch. Für kürzere Strecken unter 2 km ist das Gehen in Deutschland die häufigste Fortbewegungsart (62 %), während für etwas längere Strecken zunehmend das Fahrrad genutzt wird (Nobis et al., 2019a). Ehemalige Parkplätze wurden in Mikroparks oder Sportflächen umgewandelt. Mobilität ist mit Teilhabe, Vernetzung und Lebensqualität verbunden (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, 2024), und nicht mehr mit Stress und Isolation.

Fußgänger:innen und Radfahrer:innen entwickeln ein reichhaltigeres „Bild der Stadt“ (Lynch, 1960). Sie erleben die soziale Vielfalt und kulturelle Heterogenität des städtischen Lebens, was zu einer stärkeren emotionalen Bindung zwischen den Menschen und ihrer Nachbarschaft führt (Jungnickel & Aldred, 2014).

Aktive Mobilität und Orientierung am Gemeinwohl“ Eine emotionale Bindung gilt als Vermittler für bürgerschaftliches Engagement. Menschen, die sich unmotorisiert fortbewegen, erleben eine stärkere Orientierung am Gemeinwohl als die Motorisierten (Stefaniak et al., 2017)

. Die Entstehung einer Bewegung für direkte Demokratie in Deutschland im Jahr 2016, die sich der Förderung des Radverkehrs verschrieben hatte, ist daher nicht als zufällig zu betrachten. Bis November 2022 hatten bereits mehr als eine Million Menschen in Deutschland ihre Stimmen für mehr Fahrradmobilität und eine bessere Fahrradinfrastruktur abgegeben (Symanski & Schuster, 2024).

Gelingensbedingungen. Die Transformation der Verkehrsinfrastruktur zugunsten eines flexiblen, vernetzten und gemeinschaftsorientierten Verkehrs erfordert signifikante Investitionen. Während der motorisierte Individualverkehr über mehrere Jahrzehnte mit Milliardenbeträgen gefördert wurde – „autogerecht“: sei es durch den Straßenbau, Steuervergünstigungen oder Parkraumsubventionen – muss nun eine gezielte Umschichtung der Mittel erfolgen, um nachhaltige Mobilitätsformen zu stärken. Allerdings stößt dieser Wandel auf Widerstand, insbesondere vonseiten derer, die vom bisherigen System profitieren. Um die Akzeptanz für die erforderlichen Veränderungen zu erhöhen, sind Strategien erforderlich, die die Attraktivität und Zukunftsorientiertheit der Alternativen herausstellen. Ein weiteres Argument, das häufig vorgebracht wird, ist der drohende Verlust von Industriearbeitsplätzen, insbesondere in der Automobilbranche. Es kann jedoch gezeigt werden, dass ein solcher Wandel in anderen Strukturen und Industriebranchen nicht zwangsläufig zu Arbeitsplatzabbau führt, sondern vielmehr eine zukunftsorientierte Entwicklung einleitet. Der Umbau der Städte ist zweifellos eine Herausforderung, die nicht nur aus ökologischer, sondern auch aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen geboten ist (Stuhde & Panagos, 2023).

Bereits in den 2020er Jahren zeigten zwei Stadtplanungsansätze besonders großes Potenzial, diese Vision zu verwirklichen: die 15-Minuten-Stadt und Superblocks. Beide Konzepte setzen darauf, Mobilität neu zu denken und Städte so zu gestalten, dass sie Menschen in den Mittelpunkt stellen – mit kurzen Wegen, attraktiven Aufenthaltsräumen und einer nachhaltigen, sozial inklusiven Verkehrsinfrastruktur.

15-Minuten-Stadt. Das Konzept der 15-Minuten-Stadt beschreibt eine Stadt, in der alle wesentlichen Bedürfnisse – Wohnen, Arbeiten, Bildung, Gesundheitsversorgung, Einkaufsmöglichkeiten und Freizeit – innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sind (Moreno et al., 2021).
Die Vorteile sind erstens eine Zunahme der Begegnungen und Beziehungen zwischen Menschen. Durch die kürzeren Wege und die Förderung lokaler Infrastruktur verbringen Menschen mehr Zeit in ihrer Nachbarschaft. Dies stärkt die Beziehungen und schafft ein Gefühl der Gemeinschaft (Schuster, 2024). Zweitens wird die Nachbarschaft als sozialer Raum genutzt: Straßenräume werden umgestaltet, um Raum für Fußgänger:innen, Radfahrer:innen und öffentliche Plätze zu schaffen, anstatt für Autos, und drittens entsteht mehr Gleichberechtigung, Teilhabe und Inklusion in der (und durch die) Mobilität: Menschen mit eingeschränkter Mobilität, ältere Personen oder einkommensschwache Gruppen profitieren von der besseren Erreichbarkeit lebensnotwendiger Einrichtungen.

Paris ist eine der Vorreiterstädte, die das Konzept aktiv umsetzt. Bürgermeisterin Anne Hidalgo setzt verstärkt auf die Umwandlung von Straßen in Fahrradwege, die Begrünung von Plätzen und die Dezentralisierung von Stadtteilen (Papas et al., 2023). Portland, Oregon, USA verfolgt mit dem „20-Minuten-Stadt“-Ansatz ein ähnliches Ziel: Die Stadt entwickelt Quartiere, in denen Wohnen, Arbeiten und Freizeit nah beieinanderliegen (McNeil, 2011). ACHTUNG: Wir haben 2040. Und da ist Anne Hidalgo wahrscheinlich NICHT MEHR Bürgermeisterin von Paris. Dto. für Portland, Oregon.

Superblocks: Minimierung Autoverkehr, Maximierung sozialer Raum. Das Konzept der Superblocks wurde von Salvador Rueda in Barcelona entwickelt. Hierbei werden mehrere Straßenblöcke zu einem verkehrsberuhigten Gebiet zusammengefasst, in dem der Autoverkehr minimiert wird und Fußgänger:innen und Radfahrer:innen Vorrang haben (Rueda, 2019). Die Vorteile sind erstens die Rückgewinnung des öffentlichen Raums. So werden Parkplätze in Grünflächen, Spielplätze oder Sitzbereiche umgewandelt, die Menschen zum Verweilen und Austausch einladen. Zweitens steigt die Luftqualität, und es gibt weniger Lärm, wie Studien zeigen (Mueller et al., 2020); drittens stärkt es lokale Geschäfte, da autofreie Zonen den lokalen Einzelhandel stärken, und viertens wächst die soziale Teilhabe für alle, da ältere Menschen, Kinder und Menschen mit Mobilitätseinschränkungen den öffentlichen Raum sicherer und ohne Barrieren nutzen können. Barcelona hat bereits über sechs Superblocks eingerichtet, weitere 503 sind in Planung. Berlin testet 2025 sog. „Kiezblocks“ nach dem Vorbild Barcelonas, um Quartiere verkehrsberuhigt und lebenswerter zu gestalten, und London experimentiert mit „Low Traffic Neighborhoods“, die ähnlich funktionieren.

Die 15-Minuten-Stadt und Superblocks zeigten, wie Städte Mobilität neu organisieren können, um sie lebenswerter, nachhaltiger und sozial inklusiver zu machen. Indem sie aktive Mobilität priorisieren und den öffentlichen Raum als Begegnungsort definieren, schaffen sie eine Grundlage für eine gerechtere Stadtentwicklung. Bis 2040 konnten diese Konzepte zur neuen Norm werden – und Städte, die Mobilität als sozialen Ort begreifen, zur Realität machen.